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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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irgendwo hier im Bereich der Bettcouch des Wohnzimmers spurlos verschwunden. Sie hätte wetten können, sie vorgestern Abend in der kleinen Glasschale auf dem Tisch abgelegt zu haben. Und dann war da noch das selbstbemalte Seidentuch, blaue Blüten mit Goldgutta umrahmt, das schon seit Wochen fehlte. Aber von diesen Dingen würde sie ihm nicht auch noch erzählen.

[home]
    Sonntag, der 14. Oktober
    L ars räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und genoss die Trägheit des späten Sonntagvormittags. Der Kaffeeduft und das Aroma der längst verspeisten Frühstücksbrötchen hingen noch in der Luft. Wie in keinem anderen Augenblick zuvor spürte er, dass er sich längst von seinem Singledasein verabschiedet hatte und sich nichts mehr wünschte, als dass das so weiterginge mit diesen Sonntagen, mit diesem abendlichen Nachhausekommen. Zugegeben, gestern nach dem Dienst war er erst einmal in seiner Wohnung verschwunden und hatte seine Notizen fixiert und mit Klebezetteln an die große, leere Wand in seinem Wohnzimmer geheftet. Er hatte sich auf die gegenüberliegende Couch geflegelt und seinen Gedanken freien Lauf gelassen. Darüber war er eingeschlafen und hatte sich erst im Morgengrauen Richtung Maren auf den Weg gemacht. Schließlich hatte er ihr ja versprochen zu kommen. Zugegeben, er würde sich daran gewöhnen müssen, dass die alten Abläufe – Kühlschranktür auf, Bier raus, Tiefkühlpizza in den Ofen, Fernseher an – nicht mehr zum Feierabendritus gehören würden. Stattdessen gemeinsames Kochen, Reden über den Tag, aber auch Streiten und mühsames Verhandeln. So viel Realitätssinn besaß er, um zu ahnen, dass es in Zukunft nicht unbedingt bequemer werden würde.
    Am Ende der Woche würde noch Julia dazukommen. Was sie wohl sagte, wenn sie ihn plötzlich an der Seite ihrer Mutter wiedersah? Eigentlich hatte er sich gut verstanden mit ihr. Damals. Inzwischen waren drei Jahre vergangen. Das war viel Zeit im Leben eines Kindes. Auch hätte sie dann gerade einen Urlaub an der Seite ihres Vaters hinter sich, eines reichen Vaters, der sich sicherlich in einer Form erkenntlich gezeigt hatte, wie es Lars mit seinem Polizistengehalt niemals würde tun können. Von diesem Gehalt finanzierte er einen Teil des Lebens von Silke, seiner Immernoch-Ehefrau, wie er das für sich nannte. Vor fünf Jahren hatten sie sich getrennt. Sie war mit ihrem neuen Freund nach Berlin gezogen. Angeblich hatte sie wieder ein Kind. Eigentlich wollte er das alles gar nicht wissen, hatte sich seine Ruhe durch einen Abbuchungsauftrag erkauft. So viel psychologisches Grundwissen hatte er mittlerweile erworben, um zu wissen, dass diese Antriebsarmut bezüglich der Regelung seines Privatlebens etwas mit einem traumatischen Erlebnis in seiner Vergangenheit zu tun hatte. Seine Strategie war bisher gewesen, bestimmte Phasen einfach auszublenden. Er wusste, dass er einiges in Angriff nehmen und ordentlich abschließen musste, wenn er sich einer neuen Zukunft stellen wollte. Einer Zukunft mit Maren. Wollte er das? War er wirklich schon so weit? Seine Lebenserfahrung, die zu großen Teilen auch durch seinen Beruf geprägt war, sagte ihm, dass man sich nicht gleich auf die erste Idee stürzen, sondern erst einmal weitere Erfahrungen sammeln sollte. Das würde er tun, beruflich wie privat.
    Maren räumte irgendwo in der Wohnung herum. Jetzt rief sie ihn. Ihre Stimme klang gedämpft. Er fand sie am anderen Ende des Flurs in dem dritten Zimmer der Wohnung.
    Es war vollgestellt mit alten Möbeln und Pappkartons. Dazwischen ragte eine Staffelei mit einem skizzierten Bild heraus. Maren stand am Fenster, das zum Hof hinausführte. »Das ist ein sehr ruhiges Zimmer«, erklärte sie und kam Lars wie eine Pensionswirtin vor, die ihrem neuen Gast ein Zimmer zur Untermiete schmackhaft machen wollte. Welche Antwort erwartete Maren jetzt von ihm? Wie weit waren ihre persönlichen Zukunftsplanungen, und wie sehr würde er sie enttäuschen, wenn er jetzt falsch reagierte? Etwas in diesem Raum alarmierte ihn. Zunächst konnte er es nicht bestimmen. Er entschloss sich zur Strategie der Ablenkung.
    »Die Skyline von Frankfurt«, sagte er. »Gut getroffen. Hast du das gemalt?«
    Sie nickte. »Angefangen, aber dann keine Idee mehr gehabt, wie es weitergehen sollte. Das Zimmer ist zur Abstellkammer für all das geworden, womit ich mich nicht weiter beschäftigen wollte. Ich habe mich entschlossen, das jetzt in Angriff zu nehmen. Es ist doch eigentlich ein

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