Das verschwundene Kind
helfen, ist ja auch Sanitäter. Sie hatte sich ihm anvertraut, als er merkte, dass es ihr schlechtging. Flo merkt so was immer gleich. Er ist ein ganz Lieber.«
Stephan nickte und wiederholte. »Ein ganz Lieber.«
Das zauberte ein scheues Lächeln in Svenja Stummers Gesicht, das ihre Augen jedoch nicht erreichte.
Stephan probierte eine Offensive. »Und Sie können sich nicht vorstellen, dass da mehr entstanden ist zwischen den beiden als nur Zuhören und Kümmern?«
Das Lächeln verflüchtigte sich sofort. Die Lippen wurden trotz der Farbe zu zwei schmalen Strichen. »Wie kommen Sie darauf?«
Bei dem schrillen Klang zuckte Stephan unwillkürlich zusammen. Er brauchte eine Weile, bis er wieder einen gleichmäßigen Gesichtsausdruck zustande brachte.
»Nun, es könnte doch sein«, spekulierte er.
Sie schüttelte vehement den Kopf und den Oberkörper gleich mit, als müsste sie viel abschütteln. Stephans Blick verfing sich besorgt an ihrer Blusenöffnung. Sie griff nach den Stoffleisten ihres Kragens und zog sie zusammen. Vorstellung beendet. »Nein, so einer ist der Flo nicht. Nie würde er so was ausnutzen. Ich kenne ihn, er ist …«
»… ein ganz Lieber, ich weiß«, ergänzte Stephan. In ihm stritten sich die Gefühle. Sollte er die Stummer nach der Schwangerschaft und nach dem Baby fragen? Heck hatte es eigentlich verboten. Mit gutem Grund, aber er wüsste zu gerne …
»Hat Ihr Verlobter Ihnen auch etwas von dem Baby erzählt?«, hörte Stephan sich fragen.
Ihr Gesicht hatte wieder den Froschausdruck. »Ja«, sagte sie. »Wieso steht davon eigentlich nichts in der Zeitung?«
Stephans Augen wurden schmal. Was wusste sie? Hatte ihr Verlobter ihr am Ende die Vaterschaft gestanden und auch seine Angst, verdächtigt zu werden? Saß sie jetzt hier, weil sie ihn von Florian Sauers Unschuld überzeugen und den Verdacht auf Kling lenken wollte?
»Was hat er Ihnen denn von dem Baby erzählt?«
Der Frosch schluckte die nächste Hummel. »Nichts. Eigentlich nur, dass sie eines hatte, die Arme, auch das noch.«
»Könnte es sein, dass er ihr – durch seine Kenntnisse und Beziehungen im medizinischen Bereich – vielleicht geholfen hat, es auf die Welt zu bringen?«
Ihre Augen weiteten sich ungläubig. »War sie denn nicht in einer Klinik?«
»Wir konnten keine ermitteln.«
Svenja Stummer machte einen Moment ihrem Namen Ehre und starrte nachdenklich vor sich hin. Dann sagte sie mit einer ungewohnt tiefen und ruhigen Stimme: »Nein, das hätte er mir erzählt. Mit der Geburt hat er nichts zu tun.«
Aber mit der Zeugung, dachte Stephan, und davon hat er dir auch nichts erzählt, der Liebe. Da er nun schon einiges an gesperrten Informationen herausgelassen hatte, entschloss er sich, weitere Karten auf den Tisch zu legen.
»Ich stelle Ihnen jetzt eine Frage und bitte Sie, das vertraulich zu behandeln. Für mich sind Sie eine wichtige Informantin. Wir sollten zusammenarbeiten.«
Svenja Stummers Gesicht blieb starr.
»Wissen Sie, wo das Baby ist?«, fragte er.
Ihre Augen wurden unter den schwarzen Borsten riesengroß.
»Ist es denn nicht vom Jugendamt geholt worden? Ich meine, wo die Mutter doch jetzt tot ist«, fragte sie.
»Es ist spurlos verschwunden«, erklärte er.
»O Gott«, hauchte Svenja Stummer. Es schien sie wirklich mitzunehmen. Und Stephan fragte sich erneut, ob sie nicht einerseits über mehr Informationen verfügte, andererseits in diesem Punkt aber falsch unterrichtet worden war. Das würde er jetzt nicht herausfinden können. Er hatte das Visier schon viel zu weit geöffnet und hoffte, dass Svenja Stummer sich bedeckt halten würde, denn den nächsten Ausbruch von Heck wollte er möglichst vermeiden.
»Sie sollten unbedingt nachforschen, was Dr. Kling damit zu tun hat«, forderte sie.
»Verstanden. War das der Grund, warum Sie mich heute treffen wollten?«, fragte Stephan.
»Wie meinen Sie das jetzt?«, schrillte sie.
»Um mich auf ihn anzusetzen und von Florian Sauer abzulenken«, erklärte er kühl.
*
Nach dem Gespräch mit Svenja Stummer sehnte er sich nach einem kühlen, ruhigen Ort mit schweigenden Menschen. Das Bild einer Bibliothek entstand in ihm, und er lenkte seine Schritte durch die Fußgängerzone auf das Gebäude zu. Er hatte schon länger vorgehabt, sich das einmal von innen anzusehen, und freute sich auf ein bisschen ablenkendes Lesen in gepflegter Umgebung. Als stolzer Besitzer eines Benutzerausweises erklomm er wenig später die Treppe in den Lesesaal des
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