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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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vollmundig behauptet hatte, ihre finanzielle Situation sei geregelt, überlegte Stephan.
    *
    Am Nachmittag bearbeitete Stephan die Akten auf seinem Schreibtisch, ordnete seine Notizen und zeichnete sich auf einen großen DIN -A 3 -Bogen eine Übersicht über die Personen, denen er inzwischen im Zusammenhang mit dem Fall begegnet war. Er verband sie mit Linien und schrieb die Art ihrer Verbindung dazu. Auch die neu hinzugekommene Svenja Stummer fand eine Position auf dem Blatt. Eine Linie führte zu Dr. Anselm Kling und eine zu Florian Sauer. Der war inzwischen durch eine Doppellinie mit dem Opfer verbunden, was eine starke Beziehung ausdrücken sollte. Ganz schön vernetzt waren die alle miteinander. Halt! Eine Person hatte er noch vergessen. Aber wie war die einzuordnen? Er zog eine gestrichelte Linie zur Familie Onurhan. Aber eigentlich stimmte das nicht. Diese Person stand außerhalb und war doch mittendrin. Schließlich schrieb er den Namen über alle anderen: Abdelhamid Ben Alhallak, genannt Abdel. Anschließend wählte er die Nummer des Kollegen Manfred Brunner aus Frankfurt. Kaum hatte dieser Stephans Stimme erkannt, verfiel er in einen auf- und abschwellenden Singsang.
    »Salami–malaikum, Steff, habt ihr schon herausgefunden, wer eurer Schönen aus dem Morgenland an den Kaftan gegangen ist?«
    Bereits bei diesen ersten Tönen bereute Stephan, den Kollegen überhaupt angerufen zu haben.
    »Hör zu, Brunni, ich habe nicht viel Zeit für deine Witze. Eine Frage nur: Hatte die ermordete Frau ein Kind, oder war sie vielleicht schwanger?«
    »Nein, nicht dass ich wüsste. Warum?«
    »Unsere Tote hatte ein Baby. Allerdings haben wir das nur anhand von Tatortspuren herausgefunden. Das Kind selbst ist verschwunden.«
    »Welche Spuren?«
    »Zum Beispiel eine Windel.«
    Brunni lachte schallend. »Die Spurenlage in Offenbach! Haben die nicht alle irgendwie immer Kinder?«
    Stephan schnaubte. Es wurde ihm zu blöd. Bevor er das Gespräch mit einem knappen Abschiedsgruß beenden konnte, schaltete sich Brunni noch einmal ein.
    »He, Steff, weißt du, was Windel auf Türkisch heißt?«
    »Nein, das muss ich wohl auch nicht wissen.«
    »Bei euch in Ffm-Nahost schon!« Brunni prustete. »Windel auf Türkisch heißt Gülle Hülle, hi, hi!«
    Stephan legte auf und stöhnte. Er suchte auf seiner To-do-Liste nach dem nächsten Punkt. Svenja Stummer! Ein kurzes Telefongespräch führte zu einer Verabredung am morgigen Freitagnachmittag.
    »Das ist gut, dass Sie mich sprechen wollen«, kreischte sie, und Stephan, dessen Nerven ohnehin strapaziert waren, hielt das Telefon weit weg von seinem Ohr. »Es gibt etwas, das ich Ihnen unbedingt mitteilen wollte, ich glaube, das ist wichtig für Sie!«
    »Wenn es so wichtig ist, könnten wir auch gleich …«, begann er und dachte bedauernd an den ersehnten Feierabend.
    »Nein«, schrillte sie, »das geht auch noch morgen. Ich habe heute Uni, und morgen Vormittag bin ich in der Praxis. Danach dann geht es.«
    Er willigte schnell ein, so wie er in alles eingewilligt hätte, um endlich das Geräusch dieser Stimme aus dem Ohr zu haben.
    Er versuchte, sich Svenja Stummers Gesicht vorzustellen, die angemalten Puppenaugen, das schmale Mündchen – und dann so eine Stimme! Was für eine Art von Ärztin die wohl werden wollte? Hals-Nasen-Ohren? Psychiatrie? Schlimmer wäre es gewesen, wenn sie Lehramt studiert hätte, sinnierte er. Schüler einen Vormittag dieser Stimme auszusetzen, das bedeutete Kindesmisshandlung.
    *
    Am Abend war Versöhnung mit Maren angesagt. Er entschuldigte sich in aller Form für seinen misslaunigen Auftritt: der Stress im Job, die Sehnsucht nach einem schönen Work-out mit ihr und dann diese Mütterversammlung – das hätte seine Stimmung in Richtung Nullpunkt sinken lassen. Sie entschuldigte sich ebenfalls in aller Form dafür, seine Berufsehre gekränkt zu haben, und gab zu, durch den anstrengenden Frauenbesuch und die Bedrohungen der letzten Zeit leicht reizbar gewesen zu sein. Sie verziehen einander lange und ausgiebig. Das war so schön wie Pizza, kühles Bier und Fußball in einem.
    Irgendwann in der Nacht fragte sie neben ihm plötzlich in das Halbdunkel des Zimmers hinein: »Könntest du dir vorstellen, dass wir ein Kind zusammen haben?«
    Er war schon eingedöst. In seinen beginnenden Träumen entstand das Bild von Christine Schneider-Dennhardts praller Brust mit Anhängsel inmitten eines Heers krabbelnder kleiner Gestalten, die wild plärrend einen Berg aus

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