Das verschwundene Kind
Kontakt mehr zu ihr gehabt.
»Haben Sie ihr gegenüber die Schwangerschaft schriftlich anerkannt oder eine Art Vertrag mit ihr gemacht?«, hatte Heck gefragt.
»Nein, sie wollte nur Geld«, hatte Florian Sauer geantwortet. Auch bei Florian Sauer waren Heck und Stephan überzeugt, dass er nicht die Wahrheit sagte, doch auch hier hatten sie noch nichts in der Hand, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Die wenigen DNS- Spuren von ihm in der Wohnung Onurhan konnten Monate alt sein. Es war Florian Sauer wichtig, dass weder seine Verlobte noch seine Eltern etwas von der Vaterschaft erfahren sollten.
Heck gab die übliche Antwort: »Das können wir Ihnen nicht versprechen!« Und der Anwalt protestierte erneut.
Stephan stemmte sich heftig in die Pedale. Es tat gut, gegen das Empfinden, dass der Fall sich festgefahren hatte, anzutreten.
Es gab auch noch die andere Variante. Kling und Sauer sagten die Wahrheit und hatten in der Tat nichts mit dem Mord und dem Verschwinden des Kindes zu tun. In dem Fall gewann jene Variante wieder an Gewicht, die Stephan bereits früher verfolgt hatte. Sowohl bei dem Opfer in Frankfurt als auch in der Wohnung Onurhan gab es einen antiken Schrank. Maren hatte sich auf das Angebot eines Antiquitätenhändlers eingelassen, um jenen Schrank zu verkaufen, der sie in dem dritten Zimmer ihrer Wohnung störte. Was, wenn genau dieser Antiquitätenhändler der Schlüssel war? Stephan hatte nicht vor, ein Risiko einzugehen, und Maren angeboten, den Händler zu empfangen. Heute um fünfzehn Uhr war der Termin. Maren hatte vor, außer Haus zu sein und mit Vera Schneck-Walz und deren Kindern im Ostpark spazieren zu gehen. Ein leiser Triumph stieg in ihm auf. Was wäre, wenn es ihm heute durch eine erfolgreiche Festnahme gelingen würde, diesen Fall, an dem sich alle die Zähne ausbissen, aufzulösen? Vor allem vor Heck stünde er dann endlich ganz anders da.
Um kurz vor halb drei drehte er den Schlüssel in der Wohnungstür. Nur ins Schloss geschnappt und nicht abgeschlossen? Von wegen, Maren setzte auf Sicherheit! Er überlegte, ob vielleicht etwas im Kühlschrank wäre, das er sich schnell in den Mund schieben könnte, als ihm der Duft nach Oregano und Tomatensoße entgegenschlug. In der Küche traf er auf die zehnjährige Julia, die emsig in einem dampfenden Topf mit roter Soße rührte.
»Hi«, trällerte sie ihm gutgelaunt entgegen und erntete einen erstaunten Blick. »Du hast wohl vergessen, dass ich wieder da bin.« Sie kicherte.
Er hatte es tatsächlich vergessen, obwohl sie den ganzen Sonntag gemeinsam miteinander verbracht hatten.
»Möchtest du was mitessen? Spaghetti Napoli. Es reicht für uns beide.«
Er nickte und überlegte, ob es eine Chance gab, sie noch rechtzeitig loszuwerden. Doch auf seine Fragen, ob sie zufällig vorhabe, bei einer Freundin Hausaufgaben zu machen oder sich zu verabreden, reagierte sie abwehrend. Als er Parmesankäse aus dem Kühlschrank holen wollte, stolperte er über Julias Schulrucksack, der auf dem Küchenboden lag. Er hob ihn wortlos auf und plazierte ihn auf einem Stuhl. Im Kühlschrank lag neben einer Packung Schokoladenbonbons ein Schlüsselmäppchen. Er zog es heraus und hielt es Julia vor die Nase.
»Wieso ist dein Schlüssel hier im Kühlschrank?«, fragte er.
»Ach, da ist er«, sagte Julia gemütlich kauend. »Ich hab ihn schon gesucht. Unterwegs hatte ich mir die Bonbons gekauft, die schmecken besser, wenn sie hart und kalt sind, da habe ich sie wohl mit dem Schlüssel da reingeräumt.«
Lars Stephan kam wieder zu Julia an den Tisch. Er setzte eine ernste Miene auf.
»Nun fang schon an«, sagte sie gedehnt und wickelte Nudeln auf ihre Gabel.
»Womit?«
»Du willst mir jetzt einen Vortrag halten über Ordnung, Sicherheit und Verantwortung. Mama guckt dann auch immer so wie du.«
Er bemühte sich um ein gutmütiges Pädagogenlächeln. Dann griff er nach dem Schlüssel und hielt ihn demonstrativ in die Höhe.
»Du weißt, dass es hier jetzt ein neues Türschloss gibt. Du hast einen Schlüssel, Maren hat einen, und einen habe ich. Drei, mehr gibt es nicht. Maren hat mir erzählt, dass du schon sehr oft deinen Schlüssel verloren oder sogar außen im Türschloss stecken lassen hast.«
Julia hielt in der Bewegung inne und rollte die Augen. »Was soll das jetzt werden? Ich weiß, dass es nicht gut ist, wenn ich nicht richtig auf den Schlüssel aufpasse, aber es ist seit einem halben Jahr nicht mehr vorgekommen und wird auch nicht mehr vorkommen.
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