Das verschwundene Kind
war er mit einem Freund im Kino. Mohamed Ben Alhallak heißt der.«
[home]
Samstag, der 27. Oktober
D raußen dämmerte ein milchiger Morgen. Es ist ja bald November, dachte Lars Stephan, insofern passt das öde Wetter. Ganz leise hatte er sich eine große Tasse Kaffee zubereitet und ein paar Croissants im Mikrowellenherd aufgebacken. Maren und Julia schliefen noch. Der heiße Kaffee tat gut. Er hatte schlecht geschlafen in der vergangenen Nacht, war spät nach Hause gekommen und dann die Gedanken an den Fall nicht mehr losgeworden. Irgendwann in der Nacht hatte Maren ihn gefragt, ob er wegen des unerwünschten Besuchers in ihrer Wohnung schon etwas herausbekommen habe. »Nein, noch nichts«, hatte er abgewehrt und ihr nicht eingestanden, dass er bei all dem Stress vergessen hatte, dieser Aktion noch Aufmerksamkeit zu widmen. Nachdem der warme Kaffee ihn belebt hatte, schlich er durch den Flur zur Wohnungstür und öffnete sie leise. Draußen im dämmrigen Treppenhaus schien alles wie immer. Stephans Blick fiel auf die mächtige Topfpflanze in der Ecke und glitt dann die Wand hinauf bis zu einer »Verteilerdose«, die dort unterhalb der Decke angebracht war. Es war ein kleines, unauffälliges Teil in der gleichen Farbe wie die Wand, das es allerdings in sich hatte. In der Dose war eine Minikamera angebracht. Ein Bewegungsmelder sorgte dafür, dass sie nur aufzeichnete, wenn sich etwas hier auf dem Treppenabsatz tat. Phil hatte ihm dieses Modell empfohlen, das auch in lichtschwachen Umgebungen noch hervorragende Bilder lieferte. Tja, Leute, wenn ihr demnächst mal wieder im Supermarkt eures Vertrauens klauen gehen wollt, dann achtet auf Rauchmelder und Verteilerdosen, dachte Stephan belustigt. Nachdem er sich von der Unversehrtheit des Türschlosses überzeugt hatte, schlüpfte er wieder zurück in die Wohnung. Auf der Flurgarderobe hatte er sein Laptop angeschlossen. Das nahm er jetzt mit in die Küche, um sich in Ruhe die Bilder von gestern anzuschauen. Er war erstaunt, dass es zwanzig Einschaltungen der Kamera gegeben hatte, eigentlich hatte er mit einer Anzahl unter zehn gerechnet. Also, dann mal los. Er machte sich auf langweilige Bilder gefasst, und so begannen die Aufzeichnungen auch: Stephan verlässt 6 : 30 Uhr die Wohnung, schaut hinauf in die Kamera und winkt. Maren kommt um 7 : 30 Uhr durch die Tür. Oh, Maren, das ist aber knapp, wenn die Schule um Viertel vor acht beginnt. 7 : 35 Uhr. Maren hetzt noch einmal zurück, kommt mit einer Zeichenmappe unter dem Arm wieder heraus, sieht gehetzt auf die Armbanduhr, eilt davon. 8 : 15 Uhr. Julia kommt aus der Tür. Schließt sie sorgfältig ab. Zweimal herum. Sehr ordentlich, mein Kind!
Stephan biss genüsslich in sein Croissant, spülte mit einem Schluck Kaffee nach. Plötzlich hielt er inne. Was war das? Im Augenwinkel hatte er diese kleine, schnelle Bewegung gesehen und spulte die Bilder noch einmal zurück. Julia schloss ab, zweimal.
»Ich glaub’s nicht«, flüsterte er.
Maren fand Lars in der Küche, intensiv mit seinem Laptop beschäftigt.
»Du bist ein Workaholic«, sagte sie und schlang die Arme um seinen Hals. »Oh, Croissants!« Sie griff sich eines und biss hinein.
»Ist Julia wach?«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich zeig dir mal was!« Er tippte auf eine Taste. Die Bilder aus dem Treppenflur erschienen.
»Ich seh ja schrecklich aus.« Maren stöhnte.
»Jetzt wird es interessant«, unterbrach Lars. »Schau hin! Julia schließt schön ordentlich ab. Und jetzt. Da!«
»Was, um alles in der Welt, tut sie?«, fragte Maren.
Lars spulte noch einmal zurück. »Hier hat sie ihren Schlüssel in der Hand. Jetzt geht sie zu der Pflanze. Jetzt wendet sie sich zum Gehen. Und, was hat sie in der Hand?«
»Nichts«, antwortete Maren.
»Und der Schlüssel?«, triumphierte Lars.
»Im Farn«, flüsterte Maren und griff sich an die Stirn.
Er grinste verschmitzt. »Das ist ihr süßes Geheimnis, warum sie den Schlüssel nicht mehr verliert. Sie lässt ihn immer hier in dieser Topfpflanze!«
»Und da konnte jeder dran!« Maren stöhnte.
Lars nickte. »Und ich kann dir auch zeigen, wer.« Maren starrte auf den Bildschirm.
»Kennst du diese Frau?«, fragte er. Auf dem Monitor erschien eine zierliche Frau mit hochgestecktem, tiefschwarzem Haar, bekleidet mit einem weiten Pullover und Leggins. In der Hand trug sie eine halb gefüllte Ein-Liter-Wasserflasche aus Kunststoff. Maren blinzelte konzentriert.
»Das ist Andrea Schröder. Sie
Weitere Kostenlose Bücher