Das verschwundene Kind
Haus und merkt nicht, dass ein Kind elend stirbt. Lars kam wieder zurück.
»Der Kinderwagen ist leer«, sagte er, und Maren brauchte einige Atemzüge, bis sie verstanden hatte, was er sagte.
»Lass uns bitte jetzt gehen!«, hauchte sie. Im Flur angekommen, ging Lars noch einmal in Richtung der summenden Küche. Maren konnte ihn nicht zurückhalten. Sie blieb im Flur stehen. Dann hörte sie einen kurzen Laut der Überraschung. Sofort setzte sie sich in Bewegung. Noch im Türrahmen schreckte sie zurück. Lars hockte auf dem Boden neben einem zusammengekrümmten Körper. Wirres schwarzes Haar klebte in Erbrochenem.
Er hatte das Handy am Ohr und sagte: »Bewusstlos. Schwacher Puls. Kommen Sie schnell!«
Er nannte die Adresse. Maren schaute zu, wie Lars zwei Finger, die er in die Halsbeuge der Frau gelegt hatte, aus den verklebten Haaren zurückzog. Er versuchte, den Körper in der Seitenlage zu halten, klopfte der Frau mehrfach leicht auf die Wangen und sprach sie an. Sie bewegte sich, wischte mit ihrem Gesicht über den Unrat auf dem Boden. In Maren prallten die Gefühle aufeinander. Einerseits hatte sie Mitleid mit der Frau, andererseits hatte sie noch nie so viel Ekel empfunden. Insgeheim bewunderte sie Lars, der die Umgebung einschließlich des entsetzlichen Gestankes auszublenden schien. Zum ersten Mal stieg eine Ahnung in ihr auf, mit welchen Situationen er in seinem Berufsalltag konfrontiert war.
Er blickte auf. »Geh ruhig wieder runter in die Wohnung. Ich bring das hier zu Ende«, sagte er leise.
»Ist das denn okay für dich, wenn ich gehe?«, fragte sie.
Er nickte stumm. Es klingelte an der Tür. Maren ging, um den Sanitätern zu öffnen.
*
Den Helfern war es gelungen, den Kreislauf der Frau zu stabilisieren. »Wir bringen sie in die Uniklinik«, erklärte der Notarzt.
»Sind Sie ein Verwandter der Frau? Gibt es Papiere? Krankenversicherung und so?«, fragte der eine Sanitäter.
»Ich bin Po… ich bin nur ein Nachbar«, erklärte Lars. »Aber ich habe hier keine Ausweispapiere.«
»Haben Sie die Wohnung aufgebrochen?«
»Nein, ich wusste, wo der Schlüssel ist.«
Der Sanitäter war mit der Angabe der Personalien zufrieden. »Dann brauchen wir keine Polizei«, erklärte er. »Aber Sie sollten den Wohnungsinhaber oder den Hausmeister verständigen. Hier müsste mal der Kammerjäger rein!«
»Mach ich«, erklärte Lars und folgte den Sanitätern, die Mühe hatten, die Bahre durch den schmalen Durchgang im Flur zu bugsieren. Prompt blieben sie an einem Papierstapel hängen, und einiges fiel vor Lars’ Füße. Er bückte sich, um es aufzuheben, und hielt einige Exemplare einer Frauenzeitschrift in der Hand. Sie waren mit Adressenaufklebern für Abonnenten versehen. Die Anschrift stach ihm in die Augen:
Frau Özlem Onurhan,
63
067
Offenbach, Domstraße.
Einen Moment stand er still da und starrte ins Leere. Hinter seiner Stirn wirbelten die Gedanken. Dann griff er zu seinem Telefon und wählte Hecks Handynummer.
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Mittwoch, der 31. Oktober
S ie saßen sich in gewohnter Weise mit ihren Kaffeetassen gegenüber und ließen die letzten Tage Revue passieren.
»Weißt du schon, dass Frank Günther sagt, die DNS -Spuren in dem Kinderwagen sind eindeutig von
unserem
Kind.« Stephan nickte.
»Ist das jetzt der Durchbruch. Meinst du, sie war es? Motiv Kindesentzug?«, fragte Heck.
Stephan blickte mit skeptischer Miene auf seine Unterlagen.
»Wann dürfen wir sie denn verhören?«
»Habe gestern Abend mit dem Oberarzt telefoniert, frühestens morgen und dann nicht zu lange. Sie hat eine Bauchspeicheldrüsenentzündung. Krampfadern in der Speiseröhre. Grottenschlechte Leberwerte. Sie ist noch sehr erschöpft.«
Stephan nickte. »Jedenfalls bin ich erleichtert, dass wir jetzt eine Erklärung dafür haben, wie Garfields Haare in die Wohnung Onurhan gewandert sind, und zwar huckepack mit dieser Andrea Schröder. Es gibt viele Fingerabdrücke von ihr. Sie muss dort ein und aus gegangen sein. Nur warum? War sie mit der Onurhan befreundet? Gab es andere Gründe?«
»Wir werden bald mehr wissen. Ernestine und unser Grünholz haben sich in den letzten Tagen intensiv damit beschäftigt, Hintergründe zu der Schröder zu recherchieren. Sie kommen gleich, dann hören wir es exklusiv.«
Wie auf Kommando öffnete sich die Tür. Hölzinger trat ein, dicht gefolgt von Ernestine Hoff, die nach einer auffordernden Geste von Heck sich wie Hölzinger einen Stuhl heranzog und zu einem ausführlichen Bericht
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