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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Bezler
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nebeldurchfluteten, parkartig angelegten Grundstück mit den knorrigen, alten Bäumen.
    Sollte er noch einmal dort hingehen und Witterung aufnehmen? Er stand unschlüssig da und lauschte auf das Hintergrundgeräusch der Fahrzeuge auf der Frankfurter Straße. Rund um ihn her tropfte es von hohen Bäumen. Er setzte seinen Weg fort. Kurze Zeit später stand er in der Tulpenhofstraße vor dem Gitter des schmiedeeisernen Tors. Verlassen und morbid wirkte dieser wilde, nasse Herbstgarten, aus dem sich das massive Haus mit seinen Gesimsen und Erkern wie ein Bollwerk erhob. Auf dem Weg türmte sich das Laub. Ein schmaler Pfad war notdürftig gekehrt und ließ die alten Pflastersteine durchscheinen. Traurig hingen ringsum die tropfenden, gelben Blätter an den Büschen. Stephans Blick wanderte über das Gebäude. Das Haus war fast vollständig mit wildem Wein bewachsen, der vergeblich gegen das trübe Nieselwetter in Tiefrot und Goldgelb anzuglühen versuchte. Die Klings befanden sich jetzt in ihren jeweiligen Praxen. Das hatte Stephan durch Anrufe herausgefunden, in denen er sich als Patient ausgegeben hatte. Er inspizierte das Tor. Außen war ein Knauf angebracht. Innen gab es eine Klinke. Eine Metallblende verhinderte, dass man einfach durch die Stäbe greifen konnte. Auf dem Bürgersteig lagen einige trockene Äste.
    Stephan brach sich einen Stock zurecht, kletterte ein Stück an dem Tor hinauf, schob seinen Arm mit dem Stock durch das Ziergitter und drückte mit dem Ast von oben auf die Klinke. Sie bewegte sich, und das Tor sprang auf. Wenig später befand er sich im Garten hinter dem Haus. Rundherum war alles dicht zugewachsen, so dass nachbarlicher Einblick nicht möglich war. Es gab einen hölzernen Gartenschuppen. Stephan schlüpfte in Einmalhandschuhe und rüttelte an der Klinke. Er tastete die Leiste über der Tür ab. Ein Schlüssel fiel ihm in die Hand. Er grinste zufrieden und öffnete. Drinnen war es nicht so aufgeräumt, wie man das von dem Klingschen Haushalt erwarten durfte. Gartengeräte und ein Rasenmäher waren wild übereinandergestapelt, dazu Eimer, Besen, zwei Fahrräder. Ein weiteres Gerät, das dick in eine Plastikhülle verpackt war, stand in der hintersten Ecke. Durch das dämmerige Licht war es schwer zu identifizieren. Unten konnte man erkennen, dass es Räder hatte. Stephan bahnte sich vorsichtig den Weg dorthin. Eine Lenkstange wölbte sich ihm entgegen. Er zog die Folie ein wenig zur Seite. Ein Kinderwagen! Original verpackt! Er dachte sofort an das, was der unvorsichtigen Krankenschwester aus Dr. Sauers Klinik über den erfolgreichen Versuch herausgerutscht war. Also doch! Wie lange wohl der Kinderwagen schon in dieser hintersten Ecke des Schuppens stand? Und warum war er überhaupt noch da? Hoffte hier jemand, ihn doch noch benutzen zu können? Stephan verließ nachdenklich den Schuppen. Er schloss sorgfältig ab und legte den Schlüssel wieder an seinen Platz. Er trat auf eine kleine, von welken Blättern bedeckte Rasenfläche und betrachtete die Rückfront des Hauses. Vor den bodentiefen Sprossentüren des Erdgeschosses befand sich eine ausladende, ummauerte Terrasse, von der eine breite Steintreppe in den Garten führte. Über der Mauer hingen ausgebreitet mehrere kleine Teppiche. Auf einem lag eine Bürste. Aus dem Haus drang das sonore Dröhnen eines Staubsaugers. Eine der Terrassentüren war einen Spalt geöffnet.
    Stephan trat seitlich heran und spähte in das Innere. Sofort strömte ihm jener leicht moderige Geruch nach altem Mobiliar entgegen, der ihm schon bei seinem ersten Besuch aufgefallen war. Er sah, wie eine rundliche Frau in Arbeitskleidung den Teppich säuberte. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und sang laut in einer fremden Sprache. Ohne jede weitere Überlegung schlüpfte Stephan in den Raum und schlich unbemerkt die Treppe hinauf in den ersten Stock. Die ordentlich in eine Richtung gekämmten Fransen der orientalischen Brücken auf dem Parkettboden des Flures zeigten, dass die Reinigungsfee hier bereits gewirkt hatte. In dem ausladenden Stockwerk gab es drei Zimmer und zwei Bäder. An der Art des Mobiliars und den Utensilien, die sich darin befanden, war leicht auszumachen, dass die Klings nicht nur zwei getrennte Schlafzimmer, sondern auch zwei Bäder besaßen. Alles war blitzblank geputzt und akribisch aufgeräumt. Dennoch gelang es ihm, in jedem der Bäder aus den Kämmen Haare mit Hautschuppen zu sichern, die er in die üblichen Plastiktütchen steckte.

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