Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
hellbraunen Ledersitz gebreitet lag verdorrtes Laub. Das Verdeck war unten, so dass sich im Wagen alles Mögliche einnisten konnte. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
Ich glaube nicht, dass Mr Butternut lange verweilen wollte.
Ich hatte wieder ein wenig Mut gefasst und steuerte beherzt auf das Haus zu. Es war eher ein Cottage als ein richtiges Haus, und ich war schon einige Male drin gewesen. Das Dach war nur noch zum Teil vorhanden. Alles – Auto, Cottage, Landschaft – sah aus, als wäre es von den Elementen oder der Schwerkraft überwältigt worden und würde nun langsam im Rasen versinken. »Tief in den Rasen hinein.« Das Gedicht von Robert Frost fiel mir ein und wie Ulub es aufsagte.
Ich hatte schon vor hineinzugehen, wollte vorerst aber noch nicht. Stattdessen ging ich außen herum oder schlug mich vielmehr durchs Gestrüpp, das so dicht wuchs, dass Gehen unmöglich war. Manche Bäume waren uralt und hatten so dichtes Astwerk, dass es aussah, als wollten sie sich miteinander verflechten.
Irgendwo huschte etwas davon oder fiel herunter – Eicheln, kleine Äste, Zweige mit Blätterbüscheln schienen vom Himmel zu purzeln. Woanders war Sommer, aber hier nicht. Hier war immer Herbst.
Wer mich kennt, würde meinen, ich wäre ganz begeistert von dem allem. Doch ich hatte genug, ich hatte wirklich genug. Da hörte ich ein Geräusch, einen Schrei. Es war Mr Butternut, der da laut rief. Ich musste umkehren, zum Haus zurück. Ich wollte nicht, ich wusste, dass da etwas nicht stimmte. Und ich fürchtete, ich wusste auch, was.
Ich kroch durchs Gestrüpp, über abgeschabte Rindenstückchen, Sauergras und Traubenhyazinthen und überlegte, wie die wohl das Schlimme, was sich hier ereignet hatte, überstanden hatten.
Mr Butternut war an der Hintertür und stützte sich mit dem ausgestreckten Arm am Türrahmen ab.
Als ich näher kam, rief er: »Da ist jemand drin …« Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter hinter sich.
Ich blieb stehen. »Und er ist tot.«
»Mausetot.« Er legte sich die Hand auf die Brust. »Mir wird das Herz schon ganz schwach.«
Ich trat durch die Tür, die Angst um Mr Butternuts Herz trieb mich wacker weiter. Er kam hinterher.
Zuerst glaubte ich, meine Augen würden mir wieder mal wie so oft einen Streich spielen.
Er lag im Wohnzimmer auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet, als hätte er Schneeengel gemacht. Was für ein dummer Gedanke, denn um ihn herum war nichts Weißes, bloß Blut – Blut, in dem er lag. Blut, das aus der wüsten Masse kam, die einmal sein Brustkorb gewesen war.
Es war zwar dumm, doch an Schneeengel musste ich denken, weil ich mir wünschte, dass er das gemacht hätte, dass er wie ein kleines Kind seinen Spaß gehabt hätte. Denn ich fragte mich, ob er jemals richtig Gelegenheit gehabt hatte, eines zu sein.
Mr Butternut schnaufte heiser. »Das ist doch dieser Bursche, stimmt’s? Dieser Slade?« Er rang nach Luft, als ob davon für die verbleibenden Lebenden, ihn und mich, nicht genug da wäre.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Der heißt Ralph Diggs.«
53. KAPITEL
»Überall, wo’s Ärger gibt«, sagte Donny, die Daumen im Gürtel verhakt, während er im Brokedown House herumstolzierte, »bist du natürlich mit dabei.« Sein Blick besagte, dass er hundert Prozent recht hatte.
»Geh jetzt mal raus und schau dir den Wagen an«, ordnete der Sheriff an, der neben Dr. McComb auf dem Boden hockte.
Donny rückte sich im Vorbeigehen die Hose zurecht und musterte mich mit einem Blick, als sei ich an allem schuld. Beim Hinausgehen brummte er irgendwas von »Omaknarre«.
Mir war es inzwischen egal, was Donny sagte. Ich würdigte ihn nicht mal eines Blickes. Mir ging es nur um Ralph Diggs und Morris Slade. Ich wollte die Füße hochkriegen und mich bewegen, doch sie waren wie am Boden festgeschweißt.
Mr Butternut dagegen hatte seine Füße in die Hand genommen und war, so schnell er konnte, in sein Haus zurückgeeilt, um den Sheriff zu verständigen. Ich war geblieben.
Erstaunlicherweise hatte ich keine Angst, denn ich dachte mir, jemand müsste Ralph doch Gesellschaft leisten, so lächerlich sich das anhörte. Mir war die Angst wohl gründlich ausgetrieben durch den Schreck darüber, dass ein Mensch so viel Blut verlieren konnte, dass jemand überhaupt so viel Blut in sich hatte. Während ich auf das Blut schaute, bekam ich es auf einmal dann doch mit der Angst und verdünnisierte mich eilends.
Ich begegnete Mr Butternut, der gerade aus seinem Haus kam
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