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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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umgefallen wäre als bei denen Mitglied zu werden). So musste ich mich nun eben an die Wahrheit halten.
    Normalerweise dauerte die Cocktailstunde von etwa fünf bis sechs, obwohl Mrs Davidow sie in jede Richtung ausweiten konnte, Aurora Paradise ebenfalls. Für mich eine ungünstige Zeit, weil ich um halb sechs in der Küche sein musste.
    Meine Arbeit bei der Zeitung verschaffte mir allerdings etwas Spielraum. Ich bat Walter, der immer in der Küche war, meiner Mutter zu sagen, wegen eines Interviews für meinen Artikel käme ich später. Ich sagte Walter auch, er solle Aurora Paradise um fünf einen Drink raufbringen. Der war schon fertig vorbereitet im Kühlschrank hinter dem großen Eisblock.
    »Was ist es denn?« Walter interessierte sich immer für meine Drinkkreationen. Er wischte gerade eine große Platte ab. Geschirrspülen war ein fortwährender Prozess – waschen, wischen –, so dass Walter unablässig damit beschäftigt war.
    Ich zuckte lässig die Schultern. »Den hab ich aus Resten gemacht. Bisschen Jim Beam, bisschen Gordon’s Gin und etwas Orangen- und Ananassaft.«
    Walter überlegte ziemlich lange. »Den kannst du doch Gin Beam nennen.«
    »Toll, Walter!« Ich klatschte in die Hände. »Das ist wirklich gut! Das wird ihr gefallen!« Aurora würde alles gefallen, was in einem Glas war und von selber laufen konnte.
    Meine Fragen hatte ich am Vorabend sorgfältig vorbereitet. Ich wollte Morris Slade nicht durch meinen Tonfall vergraulen, also nicht in diesem anklagenden Ton fragen, den die Polizei immer anschlug: »Und wo waren Sie in der Mordnacht zwischen neun und elf Uhr?« Würde ein Täter denn antworten: »Ich war bei dem Opfer im Zimmer.«?
    Ich wollte seriös wirken, durchforstete meine Garderobe also nach etwas Gebügeltem. Ich fand ein schlichtes, blau-weiß kariertes Kleid.
    Normalerweise sehe ich zerknittert aus, sogar meine Haare. Sogar mein Gesicht, als hätte es auf ein Kissen gepresst gelegen, was manchmal auch stimmte, wenn ich Perry Mason guckte.
    Ich setzte mich an mein improvisiertes Frisiertischchen, ein angestrichenes Brett, das zwischen zwei gleichen Kommoden balancierte, und bürstete mir die Haare. Die waren glatt und hingen mir bis auf die Schultern und sahen absolut seriös aus. Die Blümchenspangen wollte ich weglassen, aber dann würden meine Haare umherfliegen und mir in die Augen geraten, allerdings nicht so wie bei Veronica Lake. Bei mir hielten sie nicht hinter den Ohren, so wie ich es bei manchen Frauen gesehen hatte, bei Fotomodellen und Filmstars, die aussahen, als wären ihre Ohren extra dafür gemacht. Ich steckte die Haarspangen wieder hinein. Dann probierte ich verschiedene Arten von Lächeln aus und war mit einem zufrieden, das freundlich, aber nicht übermäßig freundlich aussah.
    Als ich das Hotelgelände verließ, war es halb fünf, und ich ging ganz gemächlich über den Highway auf die andere Seite von Spirit Lake. Das Haus der Woodruffs stand schräg gegenüber von dem von Mrs Louderback.
    Am Randstein stand das rote Cabrio, das ich für Morris Slades Wagen gehalten hatte, als ich mit Delbert vorbeigefahren war. Ich beschloss, ein paarmal lässig vorbeizuschlendern, bloß um zu sehen, ob sich im Haus etwas rührte. Weil es noch nicht dunkel war, konnte ich nicht an der Innenbeleuchtung erkennen, ob eins von den anderen Häusern bewohnt war. Fenster schirmten bloß die Dunkelheit innen drin ab.
    Hier und da saßen ein paar Leute draußen auf ihren Veranden, fett zusammengesunken auf knarrenden Metallrohrstühlen oder festgeklebt in Schaukelstühlen. Sie interessierten sich brennend für mich, weil ich das Einzige war, was sich hier draußen momentan bewegte.
    Nun stand ich also bei den Woodruffs vor der Tür und drückte auf eine Klingel, die wie weit entfernte Kirchenglocken drinnen ertönte.
    Hier war ich: Fragen vorbereitet, Kleidung, Haar und Lächeln vorbereitet.
    Nicht vorbereitet war ich allerdings auf Morris Slade selbst.

34. KAPITEL
    Er öffnete die Tür und sagte freundlich: »Hallo«, und ich stand da wie eine Vogelscheuche, bloß gebügelt. Hätten Vögel in meinem flott hochgebürsteten Haar genistet oder sich auf meinen Spangen niedergelassen, ich hätte mich nicht gerührt.
    Er wiederholte es – »Hallo« – mit einem noch breiteren Lächeln, als würde ihn mein Schweigen amüsieren, obwohl er nicht den Eindruck machte, als würde er über mich lachen.
    Ich räusperte mich, was zumindest bewies, dass ich ein Geräusch machen konnte,

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