Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
ich es, denn ich konnte mich auf einmal nur schwer beherrschen. Das alles kam wahrscheinlich vom vielen Nachdenken.
Ich rutschte vom Stuhl und sagte: »Ich schau dann noch mal im Archiv nach, wenn das okay ist.«
Mr Gumbrel tätschelte mir den Arm. »Nur zu«, meinte er, und wenn er gewusst hätte, wie fleißig ich war, dann hätte er alle anderen gefeuert »inklusive mich selber« – da mussten wir beide lachen – »und den Laden einfach dir überlassen.«
Ich bedankte mich, dass er das gesagt hatte, wohl wissend, dass er übertrieb, aber nicht besonders, nachdem ich Suzie Whitelaw ja beim Nichtarbeiten beobachtet hatte.
Ich hatte es eigentlich gar nicht auf die alten Zeitungsberichte abgesehen, sondern auf die Titelseiten der Zeitschriften mit den Fadeaway Girls . Ich schaute bei den hohen Stapeln auf dem Tisch gleich bei der Tür nach und entdeckte fünf.
Die legte ich nebeneinander hin und setzte mich, um sie genauer zu betrachten. Mit dem Weihnachtsheft fing ich an, dem Mädchen im roten Mantel mit weißem Pelzbesatz. Der weiße Pelz verhinderte, dass der Mantel völlig mit dem Hintergrund verschmolz.
Manchmal entstand der Fadeaway -Trick durch Farbe, manchmal durch das Muster oder die Beschaffenheit des Materials. Es gab weiße Birken in goldenen und bernsteingelben Wäldern, durch die ein in Bernstein und Weiß gekleidetes Mädchen lange Herbstspaziergänge machte, während ein Collie mit weißem und bernsteingelbem Fell neben ihr herrannte.
Mir gefiel das Zimmermädchen in Schwarz, das mit gebeugtem Knie durchs Schlüsselloch spähte. Die Serviertracht erinnerte mich an Vera, das junge, hübsche Gesicht dagegen ganz sicher nicht. Die schwarze Tracht war mit dem schwarzen Hintergrund fast völlig verschmolzen, ihre Konturen offenbarten sich durch die hinten gebundene weiße Schürze und die weißen Manschetten. Mir gefiel ihre Neugierde, denn die entsprach meiner, bloß dass es im Hotel keine so großen Schlüssellöcher zum Durchspähen gab. Sonst würde ich nämlich sicher einen Großteil des Tages auf dem Knie unten verbringen.
Ich saß, das Kinn in die Hände gestützt, die Ellbogen auf dem Tisch, da und versuchte, die Linie zu erkennen, wo das weiße Kleid auf die schneebedeckte Kiefer traf, wo das Fell des Collies auf die Blätter stieß, doch es gab keine. Das war ja gerade der Witz dran, oder? Es schien, als wäre das Fadeaway Girl bis auf Kopf und vielleicht Hände gar nicht da.
Als würde sie in Farbe ertrinken.
32. KAPITEL
Nachmittags kam ich wieder ins Hotel zurück. Um mir Delbert zu ersparen, war ich zu Fuß gegangen. In der großen Garage machte ich kurz halt, um zu sehen, wie das Mittagessen abgelaufen war und ob meine Mutter sauer war, weil ich gefehlt hatte.
Will war irgendwie mit bunten Tüchern zugange. Wie nach einem Handbuch für Zaubertricks zog er sie scheinbar aus dem Nichts hervor. »Wo hast du das gelernt?«
»Von Ralph. Ist gar nicht so schwer.«
Ich war froh, dass er ihn wenigstens nicht »Rafe« nannte.
»Hallo, Missus.« Paul hüpfte und schnaufte, zur Abwechslung mal nicht am Dachsparren oben. Allzu viel Abwechslung war es aber nicht, denn er hüpfte auf einem großen Trampolin herum, das ich zum ersten Mal sah.
Will zerrte ihn herunter.
»Zu was ist das Trampolin gut? Und was machst du mit den Schals da?« Gar nicht so leicht, bei denen auf dem Laufenden zu bleiben.
»Ich übe Zaubertricks. Wir haben beschlossen, dass in dem Stück ein Zauberer vorkommt.«
Er war so zufrieden mit sich, dass er ganz vergaß, kein Wort über ihre Inszenierungen zu verraten.
»Wer ist der Zauberer?«
»Ich.«
»Moment mal. Du bist doch der Pilot. Wieso ist der Pilot ein Zauberer?«
»Na, dann vielleicht der Copilot.«
Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Manchmal würde ich mich lieber in die Auffahrt hinknien und Kies fressen, als mit Will reden. »Wer spielt dann den Copiloten ?«
»Ich.« Er zog ein saphirblaues Tuch irgendwo hinter Pauls Ohr hervor. »Ich spiele beide.« Er begann, Paul das blaue Tuch um den Hals zu winden.
» Beide? Du kannst doch nicht Pilot und Copilot sein.«
Jetzt war es Will, der einen tiefen Seufzer ausstieß. »Du meine Güte! Ich mein doch Copilot und Zauberer.« Er zog an den Enden des Tuches. Paul gab ein gurgelndes Geräusch von sich. »Also, wer hat das Stück denn geschrieben?«
Ich zuckte die Achseln. »Walter?«
»Haha. Ich, ich hab’s geschrieben. Mill und ich«, korrigierte er sich großzügig. »Hast du noch nie was von
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