Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
um den Tod zu verschleiern? So eine Entführung inszenieren ist ja ziemlich aufwendig. Und wenn man dafür andere bestechen oder bezahlen muss, ist es noch schwerer geheim zu halten. Da hängt doch eine ganze Latte von Zeugen dran, von denen einer womöglich was ausplaudert – und so war’s ja auch: Gloria Spiker.«
»Es gibt aber auch noch andere Arten von Unfällen, wo Leute – in diesem Fall Eltern – die Schuld trifft, wo das Gesetz von Fahrlässigkeit spricht. Wenn zum Beispiel Mütter ihre Kinder im Auto lassen, während sie einkaufen gehen. Oder allein zu Hause.«
Maud schaute mich bloß schweigend an und schien noch mehr zu grübeln. »Jede Art von Unfall würde aber bedeuten, Morris Slade war eingeweiht, was Sheriff Mooma bezweifelt.«
Shirl rief schon wieder nach ihr. »Ich muss abzwitschern, Emma. Wir reden später weiter.« Sie drückte ihre Zigarette aus und rutschte aus der Tischnische.
Ich blieb noch ein Weilchen sitzen, sammelte dann meine Schreibsachen ein und zwitscherte ebenfalls ab.
31. KAPITEL
Mr Gumbrel saß hinten im Redaktionsbüro an seinem Schreibtisch.
»Ich wollte Ihnen das bloß mal zeigen. Ich hab ein paarmal angerufen, Sie waren aber nicht da.« Nein, hatte ich nicht. Als ob die nächste Folge der Geschichte bloß dadurch verzögert würde, dass er nicht ans Telefon ging. »Ich muss unbedingt wissen, was Sie von dieser Handlung halten.«
»Schieß los.«
Beim Blick auf das bisschen, was ich geschrieben hatte, kam ich mir schofel vor.
»Nur zu, ich bin ganz Ohr.« Wie zur Bekräftigung hielt er sich die Hand hinters Ohr.
Ich räusperte mich und legte los: »›Die Geschichte der Devereaus endet hier nicht, sie beginnt nicht einmal hier.‹«
Mr Gumbrel machte eine anerkennende Geste. »Das ist gut!« Er überlegte. »Kommt mir ein bisschen bekannt vor. Aber weiter.«
Ich fuhr mit meiner Diagnose der Devereaus fort, ohne über ihr »leeres Leben« hinaus allzu viel beizutragen, was ich aber auf mindestens drei verschiedene Arten wiederholte.
Mr Gumbrel nickte ernst. »Da hast du recht. Isabel Devereau – Teufel auch, von denen war wahrscheinlich keine so richtig selbstbewusst. Daher der ganze Ärger. Davon kommt ja diese ganze Leere.«
Ich freute mich vor allem über seine Unterbrechungen, denn dadurch hörte sich das, was ich geschrieben hatte, um einiges länger an. »Und da«, sagte ich, »wird es jetzt nämlich interessant – die Beziehung der Schwestern Devereau zu Morris Slade.«
Seine Reaktion war höchst erfreulich. Offenbar wusste Mr Gumbrel nicht, dass es da eine Beziehung gab, wie seine folgenden Worte bestätigten.
»Morris Slade ? Was hat der denn mit ihnen zu tun? Der war doch damals noch ein Kind, oder? Viel jünger als sie.«
Ich erzählte ihm, was Miss Flyte gesagt hatte.
»Na, mich laust der Affe. Demnach ist er ein Halbbruder von ihnen.«
»Von ihr, ich meine, von Rose Devereau. Nicht von den drei anderen.« Er sehe genauso aus wie Rose Devereau Queen, wollte ich schon sagen. Dann fiel mir das Mädchen und Fay ein, und ich fragte mich, ob sie vielleicht alle beide verschwunden waren.
Ein Gefühl von Traurigkeit überkam mich. »Also, ich glaube ja, sie haben sie sich vom Hals geschafft. Die Kleine. Aber es waren ja nicht unbedingt alle eingeweiht gewesen. Vielleicht bloß die Mutter und Mr Woodruff.« Ich beherzigte die Warnung des Sheriffs.
Er reagierte erschrocken. »Du willst sagen, umgebracht?« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, dann fing er an zu lachen, hörte aber gleich wieder auf. »Emma, du bist ja auf Mord fixiert.«
»Die Mörderin bin aber nicht ich.«
»Aber du hast doch nicht etwa vor, das aufzuschreiben, oder? Was du da gerade gesagt hast?«
»Natürlich nicht. Nicht ohne Beweise.« Die es ja auch gar nicht gab, wie der Sheriff bemerkt hatte.
»Und jetzt, wo Morris Slade hier ist, glaube ich nicht, dass er so eine Geschichte goutieren würde.«
Das Interview! Fast hätte ich es vergessen. Das könnte doch den Rest der Geschichte bilden, oder vielmehr den Schluss des »Nachspiels« und den Beginn der »Tragödie vom Belle Ruin«.
»Mr Gumbrel, ich hab mir überlegt: Der Teil, den ich Ihnen gerade vorgelesen habe, könnte doch ein Vorspann für die drei Interviews sein. Die Augenzeugenberichte des Abends damals. Die angebliche Entführung.« Ich lehnte mich zurück und versuchte, nicht in die kindische Angewohnheit zu verfallen, mit den Füßen gegen die Querstäbe des Stuhls zu hauen. Ein paar Mal tat
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