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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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denken: Lola Davidow hätte einen Martini nie so ungenutzt stehen lassen. »Ich weiß, das hab ich auch gehört. Und dass Mr Woodruff die Polizei bestochen hätte, keine Ermittlungen anzustellen.«
    Er musterte mich stumm. Dann sagte er: »Es ist aber wirklich passiert.«
    »Wurde denn nie Lösegeld gefordert?«
    »Nein.«
    Wir saßen eine Weile schweigend da, dann schaute er auf seine Uhr, entschuldigte sich und sagte, er müsse gehen. Er habe eine Verabredung.
    Nachdem der Wagen weg war, wurde mir klar, dass ich meine goldene Gelegenheit verpasst hatte. Wieso hatte ich ihn nicht gefragt, weshalb er wieder in La Porte war? Was hatte ihn hierher geführt? Oh, sagte er, er würde gern noch einmal mit mir reden. Er und seine Frau hätten nämlich nie erfahren, was mit ihrem Kind geschehen sei, es sei furchtbar gewesen, das Schlimmste, was ihm je passiert sei.
    Ich trottete also los und ärgerte mich über mich selber.
    Aber dann dachte ich, Morris Slade hatte eigentlich gar nicht über die Entführung reden wollen oder über die kleine Fay.
    Man kann in der Stadt der Tragödien nicht lange verweilen, sonst kommt man nie weg davon.

36. KAPITEL
    Als Nächstes testete ich die Idee mit der »Stadt der Tragödien« an Miss Flyte und Miss Flagler aus.
    Miss Bertha und Mrs Fulbright, die einzigen Essensgäste an dem Abend, waren um halb sieben fertig. Ich bestellte im Voraus ein Taxi und war vor sieben eingestiegen.
    Meiner Mutter hatte ich gesagt, ich wolle mir einen Film im Orion anschauen. »Welchen Film?«, fragte sie. Sie wollte meine Filmerziehung im Griff behalten.
    » Der öffentliche Feind «, sagte ich, »mit James Cagney.«
    »Ist das nicht so ein alter Film? Der ist viel zu brutal.«
    Man könnte meinen, sie hätte nie einen Tag im Hotel Paradise verbracht. Zehn Minuten oben in der großen Garage, und James Cagney sieht aus wie ihr bester Kumpel.
    »Kann schon sein«, stimmte ich ihr zu und fuhr trotzdem in die Stadt.
    Zu Delbert sagte ich, er solle mich am Orion-Filmtheater absetzen. Delbert wollte (wie immer) wissen, was ich denn vorhatte, wenn ich abends in die Stadt fuhr.
    »Na, was wohl, wenn ich am Orion abgesetzt werden will?«
    »Schaust du dir den James-Cagney-Film an? Den will ich auch sehen. Ich mag solche Gangster-Typen.«
    »Ich mag Männer mit Knarre.« Das sagte ich, obwohl ich mir geschworen hatte, Delbert niemals irgendwelche Auskünfte zu geben, über denen er dann brüten konnte. Meine Welt hatte sich gewandelt, manches brach einfach so hervor. Ich musste aufpassen.
    Die Bemerkung »Männer mit Knarre« gefiel Delbert. Er haute feixend aufs Lenkrad, als hätte ich gerade einen ganz tollen Witz gemacht.
    Ich weiß auch nicht, wieso ich es gesagt hatte, vielleicht höchstens, weil Männer mit Knarre zu meiner inzwischen betrübteren Weltsicht gehörten.
    Als ich mich vor dem Orion aus dem Taxi schälte, wollte Delbert wissen, was ich denn so lange machen wollte, bis der Film anfing, also erst in einer halben Stunde.
    »Den ganzen Laden über den Haufen schießen«, sagte ich und knallte die Wagentür zu.
    Außer ihrer morgendlichen Kaffeepause nahmen Miss Flyte und Miss Flagler nach vollbrachter Arbeit oft auch zusammen in Miss Flaglers Küche ihr Abendessen ein. Nach vorn waren ihre Läden dunkel, im Wohnbereich hinten brannte aber Licht.
    Miss Flytes vollverglastes Schaufenster war aber eigentlich nie ganz dunkel. Als Inhaberin des Candlewick hatte sie nach Einbruch der Dunkelheit immer Kerzen brennen. Keine echten natürlich, sondern elektrische, deren kleine Lichter aber wie flackernde Flämmchen aussahen.
    Die beiden freuten sich immer, mich zu sehen. Ich hatte wohl einen gewissen Unterhaltungswert, mit all den Mordfällen und Beinahemorden, Neuigkeiten über Medea, das Musical und Berichten über neue Leute in der Stadt. Darüber sprachen wir jetzt auch, während ich auf meinen Kakao blies und sie auf ihren Kaffee.
    »Morris Slade! Ach, ich kann’s gar nicht glauben«, sagte Miss Flagler.
    Miss Flyte meinte: »Was glaubst du, warum er wieder hier ist? Und auch noch im Haus der Woodruffs?«
    Beide sahen mich an, weil sie glaubten, ich hätte die Antwort. »Wahrscheinlich, weil es ihr Haus ist«, sagte ich. »Kannten Sie ihn denn gut?«
    »Ja. Schon als er noch ein kleiner Junge war und dann später als Teenager, da war er ganz schön wild.«
    »Ist Wildsein hier nicht ganz schön schwer?«
    Miss Flyte lachte. »Hier gab’s doch genug Mädchen. Und zwischendurch war er auch weg. Hat er

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