Das Versprechen
von dir?«
»Du hast dir das bloß zusammengesponnen«, sagte sie.
Um sie herum erklangen ganz eigentümliche Geräusche, wie Millionen dünner Stimmchen, die alle versuchten, durcheinander zu quasseln, so als hätten Ameisen plötzlich Kehlköpfe bekommen.
»Was ist das?«, fragte Oz und klammerte sich an Lou.
»Hätt’st besser nicht an meinen Worten gezweifelt, Lou«, zischte Diamond. Sein Gesicht hatte eine fahle Färbung angenommen. »Du hast die Geister verärgert.«
»Stimmt, Lou«, krähte ihr kleiner Bruder, der überall nach Dämonen der Hölle Ausschau hielt. »Man soll Geister nicht wütend machen.«
Die Geräusche erstarben langsam wieder, und Diamond, dessen Selbstsicherheit zurückgekehrt war, blickte Lou triumphierend an. »Hey, ist doch klar, dass das ’n Zauberbrunnen ist. Sieht doch jeder Blödhammel. Oder siehste hier ’n Haus weit und breit? Nee, und ich sag dir, warum. Der Brunnen ist früher mal direkt aus der Erde rausgewachsen, darum. Und er ist nicht bloß ’n verwunschener Brunnen, er is’ auch, wie ihr ’s nennen würdet, ein ... ein Wunschbrunnen!«
»Ein Wunschbrunnen?«, fragte Oz. »Wie meinst du das?«
»Der Mann und die Frau sind zwar nicht zusammengekommen, aber die sind immer noch verliebt. Tja, Menschen sterben eben, aber die Liebe nie. Das hat den Brunnen verzaubert. Seitdem kommt jeder hierher, der ’nen Wunsch hat. Er wünscht sich was, und es passiert. Immer. Ob ’s regnet oder schneit.«
Oz’ Hand verkrallte sich in Lous Hemdärmel. »Jeder Wunsch? Bestimmt?«
»Ja. Allerdings gibt’s ’nen kleinen Haken.«
»Hab ich ’s mir doch gedacht«, sagte Lou. »Und welchen?«
»Na, weil diese Leute hier gestorben sind und dadurch den Brunnen verzaubert haben, muss jeder, der sich was wünscht, auch irgendwas opfern.«
»Was denn opfern?«, fragte Oz, der so außer sich geraten war, dass er wie eine Seifenblase über dem üppigen Gras zu schweben schien.
Diamond hob theatralisch die Arme in den düsteren Himmel. »Für den, der sich was wünscht, muss es das Wichtigste auf der ganzen verdammichten Welt sein!«
Lou war überrascht, dass Diamond nicht auch noch eine Verbeugung vor seinem Publikum machte. Als Oz sie am Ärmel zupfte, wusste sie, was jetzt unweigerlich kommen musste.
»Lou, vielleicht können wir ja .«
»Nein!«, sagte sie scharf. »Oz, du musst endlich begreifen, dass das Pendeln mit Ketten, dieser Wunschbrunnen und das alles nicht funktioniert. Nie!«
»Aber Lou .«
Das Mädchen erhob sich und schüttelte die Hand ihres Bruders ab. »Jetzt sei nicht blöd, Oz. Am Ende heulst du wieder.«
Lou rannte los. Nach kurzem Zögern folgte Oz ihr.
Diamond blieb mit der unbestimmten Ahnung zurück, irgendwas falsch gemacht und wohl doch keinen Sieg errungen zu haben. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er schaute sich um und pfiff, und Jeb trottete zu ihm. »Gehn wir heim, Jeb«, sagte er leise.
Die beiden liefen in die andere Richtung und entfernten sich von Lou und Oz, während die Berge ringsum sich zum Schlafen bereitmachten.
KAPITEL 12
Draußen war es noch stockfinster, als Lou das Knarren der Dielen auf der Treppe hörte. Die Tür öffnete sich, und Lou setzte sich im Bett auf. Der Schein einer Laterne fiel in den Raum, gefolgt von Louisa, die bereits angezogen war. Im Lichtschein sah sie mit ihrer Flut silbernen Haares für die schlaftrunkene Lou wie eine Himmelsbotin aus. Die Luft im Zimmer war beißend kalt; Lou glaubte, ihren Atem sehen zu können.
»Ich dachte, ich lass Oz und dich länger schlafen«, sagte Louisa leise, während sie näher kam und sich zu Lou auf die Bettkante setzte.
Lou unterdrückte ein Gähnen und schaute durch das Fenster in die pechschwarze Nacht. »Wie spät ist es?«
»Kurz vor fünf.«
»Fünf?« Lou ließ sich auf das Kissen zurückfallen und zog die Decke über den Kopf.
Louisa lächelte. »Eugene melkt schon die Kühe. Wär schön, wenn ihr das auch lernt.«
»Kann ich das nicht später lernen?«, fragte Lou unter der Bettdecke.
»Kühe warten aber nich’, bis wir wach sind«, sagte Louisa. »Sie muhen, bis das Euter leer ist. Oz ist schon angezogen«, fügte sie hinzu.
Lou fuhr wieder hoch. »Was? Ma hat ihn nie vor acht aus den Federn gekriegt, und selbst das war immer ein Kampf.«
»Jetzt sitzt er jedenfalls unten vor einer Schüssel Sirup und Maisbrot und ’nem Glas frischer Milch. Wär schön, wenn du auch kämst.«
Lou warf die Decke zurück und trat auf den
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