Das Versprechen
Nummer am Telefon wählen und mit Shirley sprechen, der Frau vom Amt. Der Junge war völlig aus dem Häuschen, als ihre schnarrende Stimme sein Ohr kitzelte.
Danach zeigte Cotton den Kindern das Apartment, in dem er wohnte und das sich in der obersten Etage desselben Gebäudes befand. Es verfügte über eine kleine Küche, die voll gestopft war mit Gemüse in Dosen, Gläsern mit Sirup und Essiggemüse, Kartoffelsäcken, Decken, Lampen und vielen anderen Dingen.
»Wo haben Sie das alles her?«, fragte Lou.
»Die Leute haben nicht immer Bargeld. Dann zahlen sie ihre Rechnungen in Naturalien.« Cotton öffnete die kleine Eistruhe und zeigte den Kindern die Hähnchenstücke, das Fleisch und den Schinken. »Kann nichts davon auf die Bank bringen, aber es schmeckt auf jeden Fall besser als alles Geld der Welt.« In einem kleinen Schlafzimmer standen ein Bett und ein kleiner Nachttisch mit einer Leselampe, und ein großer Vorraum war hoffnungslos mit Büchern voll gestopft.
Als sie auf die Bücherberge starrten, nahm Cotton seine Brille ab. »Kein Wunder, dass ich blind werde«, sagte er.
»Sie haben all diese Bücher gelesen?«, fragte Diamond ungläubig.
»Ich bekenne mich schuldig. In Wahrheit habe ich viele sogar mehr als einmal gelesen.«
»Ich hab auch schon mal ’n Buch gelesen«, sagte Diamond stolz.
»Wie hieß es?«, fragte Lou.
»Weiß nicht mehr genau, aber es waren ’ne Menge Bilder drin. Quatsch, das stimmt gar nich’, ich hab sogar zwei Bücher gelesen, wenn man die Bibel mitzählt.«
»Die können wir beruhigt mitzählen, Diamond«, sagte Cotton lächelnd. »Komm doch mal her, Lou.« Cotton zeigte ihr einen Bücherschrank, der ordentlich mit zahlreichen Bänden gefüllt war, viele davon prachtvolle, in Leder gebundene Ausgaben bekannter Autoren. »Der Schrank ist für meine Lieblingsschriftsteller reserviert.«
Lou betrachtete die Buchrücken und entdeckte sofort jeden Roman und jede Kurzgeschichtensammlung, die ihr Vater geschrieben hatte. Cotton warf damit einen fetten Köder der Versöhnung nach Lou aus, doch sie war nicht in versöhnlicher Stimmung. »Ich hab Hunger«, sagte sie. »Können wir jetzt essen gehen?«
Die Gerichte im New-York-Restaurant kamen zwar nicht annähernd dem nahe, was in New York geboten wurde, aber das Essen war trotzdem gut, und Diamond trank seine erste Flasche »Minnalwasser«. Sie schmeckte ihm so gut, dass er zwei weitere trank. Anschließend sahen sie sich noch ein wenig in der Stadt um, wobei sie Pfefferminzbonbons kauten. Sie gingen in den Gemischtwarenladen, und Cotton zeigte ihnen, weshalb die sechs Stockwerke allesamt ebenerdig lagen, nämlich wegen der Neigung des Hügels, auf dem das Gebäude errichtet war - eine Tatsache, die man in den Medien einmal verbissen diskutiert hatte. »Dickens’ Anspruch auf Ruhm«, sagte er kichernd, »besteht aus einzigartigen Winkeln des Erdreichs.«
Der Laden barst vor Waren: Lebensmittel, Werkzeuge, Futtermittel. Die würzigen Aromen von Tabak und Kaffee schienen sich in den Eingeweiden des Geschäfts festgesetzt zu haben. Pferdegeschirre hingen neben Gestellen für Garnrollen, die wiederum neben dicken Fässern mit Süßigkeiten standen. Lou kaufte sich ein Paar Socken und ein Taschenmesser für Diamond, der zögerte, das Geschenk anzunehmen, bis Lou ihm sagte, er müsse ihr dafür etwas schnitzen. Sie erstand einen Stoffteddy für Oz und reichte ihn dem Jungen, ohne ein Wort über den Verbleib des alten Teddybären fallen zu lassen.
Lou verschwand für ein paar Minuten und kehrte mit einem Gegenstand zurück, den sie Cotton gab. Es war ein Vergrößerungsglas. »Weil Sie schon so viel gelesen haben«, sagte sie und lächelte, und Cotton erwiderte das Lächeln. »Danke schön, Lou. Auf diese Weise denke ich immer an dich, wenn ich in Zukunft ein Buch aufschlage.« Sie kaufte einen Schal für Louisa und einen Strohhut für Eugene. Oz borgte etwas Geld von ihr und schaute sich mit Cotton im Laden um. Als sie zurücckamen, hielt er ein in braunes Packpapier eingeschlagenes Paket in den Händen und weigerte sich standhaft, zu verraten, was sich darin befand.
Nachdem sie die Stadt durchwandert hatten - wobei Diamond Dinge zu sehen bekam, von denen er bisher allenfalls gehört hatte -, stiegen sie in Cottons Oldsmobile, das vor dem Gericht geparkt war. Diamond und Lou quetschten sich auf die Rückbank, während Oz und Jeb vorn neben Cotton saßen. Sie fuhren los. Die Sonne stand schon tief, und die Brise tat allen gut.
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