Das Versprechen
uns was Kaltes trinken gehn.« Sie sagte zu Oz, er solle sich ein wenig ausruhen; sie würden ihm Wasser mitbringen, wenn sie zurücckämen. Sofort ließ er die Hacke fallen, hob ein paar Steine auf und schleuderte sie, und bei jedem Wurf jauchzte und schrie er, wie es, scheint’s, nur kleine Jungen können. Sein liebstes Spiel war, eine Blechdose auf einen Zaunpfahl zu stellen und so lange mit Steinen darauf zu zielen, bis er sie traf. Mittlerweile war er ein so guter Werfer, dass schon ein einziger gezielter Wurf die Dose durch die Luft wirbeln ließ.
Louisa und Lou überließen ihn seinem Vergnügen und gingen zu dem kleinen Holzschuppen, der an einem steilen Abhang unterhalb des Hauses zu kleben schien und von Eichen und Eschen und einer üppigen Wand aus Rhododendron beschattet wurde. Gleich neben dem Schuppen stand ein geborstener Tulpenbaumstumpf, aus dessen Spalt eine große Honigwabe ragte, um die zahlreiche Bienen summten.
Sie nahmen Blechtassen von Nägeln in der Schuppenwand und tauchten sie ins Wasser. Dann setzten sie sich vor den Schuppen und tranken. Louisa hob die grünen Blätter einer Bergwolfsmilch auf, die neben dem Schuppen wuchs, und brachte wundervolle purpurne Blüten zum Vorschein, die vollständig darunter versteckt waren. »Eins von Gottes kleinen Geheimnissen«, sagte sie. Lou saß da, die Tasse zwischen die knochigen Knie geklemmt, beobachtete alles und hörte im kühlen Schatten zu, wie Louisa weitere interessante Dinge erzählte. »Da drüben, das ist ein Pirol. Die sieht man nich’ mehr oft. Ich weiß auch nich’, woran das liegt.« Sie deutete auf einen anderen Vogel, der auf dem Ast eines Ahorns saß. »Und das ist ein Ziegenmelker. Frag mich bloß nich’, wie der verdammte Vogel an seinen Namen gekommen ist; ich weiß es nich’.« Schließlich wurden ihre Miene und ihr Tonfall ernst.
»Die Momma von deinem Pa war hier nie richtig glücklich. Sie kam von drunten aus dem Shenandoah Valley. Mein Sohn Jake hat sie bei ’nem Tanzfest kennen gelernt, zu dem sie raufgekommen war. Sie heirateten - viel zu schnell - und bauten sich eine kleine Hütte in der Nähe. Aber ich weiß, dass das Mädel viel lieber in die Stadt wollte. Mein Gott, diese Berge müssen dem armen Mädchen vorgekommen sein wie das Ende der Welt. Aber sie hatte ja deinen Pa. In den Jahren darauf hatten wir dann die schlimmste Dürreperiode, an die ich mich erinnern kann. Je weniger Regen fiel, umso härter haben wir gearbeitet. Mein Junge verlor schon bald seinen Besitz, und sie zogen zu uns ins Haus. Und immer noch fiel kein Regen. Wir verloren unsere Tiere. Fast alles, was wir hatten, ging drauf.« Louisa rang die Hände und entspannte sie wieder. »Aber wir kamen durch. Und dann regnete es, und danach ging’s uns wieder gut. Doch als dein Pa sieben war, hatte seine Momma genug von diesem Leben und ging fort von hier. Sie hat sich nie die Mühe gemacht, die Landwirtschaft zu erlernen oder auch nur mit ’ner Bratpfanne umzugehen, deshalb war sie für Jake sowieso keine große Hilfe.«
»Aber wollte Jake nicht mit ihr gehen?«
»Oh, ich glaub schon, denn sie war ein sehr hübsches Ding, und ein junger Mann ist nun mal ’n junger Mann. Die sind ja nich’ aus Holz, wenn du verstehst, was ich meine. Aber sie wollt ihn nich’ bei sich haben, weil er aus den Bergen kam und so. Und sie wollte auch von ihrem Kind nichts wissen.« Louisa schüttelte den Kopf bei der schmerzlichen Erinnerung.
»Natürlich ist Jake nie drüber weggekommen. Dann starb wenig später sein Vater, was das Leben für uns alle nicht gerade leichter machte.« Louisa lächelte. »Aber dein Pa war damals unser leuchtender Stern. Trotzdem mussten wir zusehen, wie ein Mann, den wir alle liebten, jeden Tag ein bisschen mehr starb, und wir konnten einfach nichts für ihn tun. Zwei Tage nach dem zehnten Geburtstag von deinem Pa ist Jake gestorben. An ’nem Herzschlag, sagen manche. An gebrochenem Herzen, sag ich. Und dann waren hier oben nur noch ich und dein Pa. Wir hatten eine schöne Zeit, Lou, denn wir hatten uns sehr lieb. Aber dein Pa hat auch Schlimmes mitmachen müssen.« Sie hielt inne und trank einen Schluck Wasser. »Trotzdem frag ich mich noch immer, warum er kein einziges Mal zurückgekommen ist.«
»Erinnere ich dich an ihn?«, fragte Lou leise.
Louisa lächelte. »Du hast dasselbe Feuer, dieselbe Sturheit. Und sein großes Herz. Zum Beispiel, wie du mit deinem Bruder umgehst. Dein Pa hat mich früher mindestens zweimal am Tag
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