Das Versprechen
zum Lachen gebracht. Wenn ich morgens aufstand und abends, kurz bevor ich ins Bett ging. Ich soll den Tag mit einem Lächeln beginnen und mit einem Lächeln beenden, hat er immer gesagt.«
»Ich wünschte, Mom hätte uns erlaubt, dir zu schreiben. Eines Tages dürften wir ’s, hat sie gesagt, aber es ist nie dazu gekommen.«
»Hat mich umgehauen, als der erste Brief kam. Ich hab ihr geantwortet, aber meine Augen sind nicht mehr so gut. Und Papier und Briefmarken sind hier oben Mangelware.«
Lou warf Louisa einen unbehaglichen Blick zu. »Mom hat Dad gebeten, nach Virginia zurückzugehen.«
Louisa hob überrascht die Augenbrauen. »Und was hat dein Pa gesagt?«
Lou konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. »Weiß ich nicht.«
»Oh«, war Louisas ganze Erwiderung.
Lou erkannte, dass sie sich über ihren Vater ärgerte - eine Erfahrung, die sie zum ersten Mal im Leben machte.
»Ich kann nicht glauben, dass er dich hier so mir nichts, dir nichts allein gelassen hat.«
»Ich hab ihn gedrängt, von hier wegzugehn. Die Berge sind für einen wie ihn nicht der richtige Ort. Einen solchen Jungen muss man mit der Welt teilen. Und dein Pa hat mir in all den Jahren immer geschrieben. Und er hat mir Geld geschickt, obwohl er selbst keins hatte. Er war gut zu mir. Denk also niemals schlecht über ihn.«
»Aber hat es dir denn nicht wehgetan, dass er nie zurückgekommen ist?«
Louisa legte einen Arm um das Mädchen. »Er ist doch zurückgekommen. Ich hab jetzt die drei Menschen hier, die er von allen auf der ganzen Welt am meisten geliebt hat.«
Es war ein anstrengender Marsch auf einem schmalen Pfad gewesen, der oft mitten durch unwegsames Dickicht führte und Lou zwang, abzusteigen und das Pferd am Zügel zu führen. Trotzdem genoss sie den Ausflug, denn der Wald war vom Gesang der Vögel erfüllt, und zwischen Schieferplatten wucherte blühende Waldminze hervor. Auf ihrem Weg war Lou an versteckten Höhlen vorbeigekommen, die sich hinter dichtem Weidengeäst verbargen und von Felsgestein umschlossen wurden. Viele dieser Höhlen enthielten kleine Quellbecken eiskalten frischen Wassers. Sie war an verwilderten Feldern verlassener Gehöfte vorübergeritten; die Häuser waren längst verfallen, und Besenginster rankte sich um die Steingerippe einsam aufragender Kamine.
Lou hielt sich an die Wegbeschreibung, die Louisa ihr gegeben hatte, und stand schließlich vor dem kleinen Haus auf der Lichtung. Sie betrachtete das Anwesen. Es sah so aus, als würde auch dieses Gehöft in ein paar Jahren vor der Wildnis kapitulieren, die es von allen Seiten bedrängte. Baumäste ragten über das Dach, das mindestens so viele Löcher aufwies, wie es noch Schindeln besaß. An mehreren Stellen fehlte Fensterglas. Ein junger Baumschößling schob sich durch eine Öffnung im Boden der Vorderveranda, und wilder Efeu rankte sich um das Geländer, das an vielen Stellen gesplissen war. Die Haustür hing an einer einzigen Angel. Jemand hatte sie verkeilt, sodass sie stets offen stand. Ein Hufeisen war an den Türbalken genagelt - als Glücksbringer, wie Lou vermutete, und das Anwesen machte wahrlich den Eindruck, als könnte es einiges davon brauchen. Die Felder ringsum waren ebenfalls vom Unkraut überwuchert. Trotzdem wirkte der lehmige Vorplatz sorgfältig gepflegt; nirgends war Schmutz oder Abfall zu sehen, und neben dem Haus befand sich ein kleines Beet Pfingstrosen mit einem Fliederbaum dahinter und einem prächtigen Busch großer Schneeglöckchen, der einen kleinen Ziehbrunnen mit Kettenrolle zierte. Ein Rosenstrauch lehnte sich auf einer Seite des Hauses an ein Spaliergitter. Lou hatte einmal irgendwo gehört, dass Rosen besonders üppig blühten, wenn sie vernachlässigt wurden. Falls das stimmte, war dies der am meisten vernachlässigte Rosenstrauch, den Lou je gesehen hatte, denn er beugte sich unter der Last seiner dunkelroten Blüten. Jeb kam um die Hausecke und bellte Reiter und Pferd an. Als Diamond aus dem Türeingang zum Vorschein kam, blieb er wie vom Donner gerührt stehen und blickte sich gehetzt um. Offenbar suchte er nach einem geeigneten Versteck, fand aber keins.
»Was machst ’n du hier?«, fragte er schließlich.
Lou rutschte vom Pferd und ging in die Hocke, um mit Jeb zu spielen. »Ich wollte dich nur mal besuchen. Wo sind deine Eltern?«
»Pa arbeitet, und Ma is’ zu McKenzie’s runter.«
»Bestell ihnen einen schönen Gruß von mir.«
Diamond vergrub die Hände in den Hosentaschen und spielte mit seinen nackten
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