Das Versprechen
verließ die Stadt. Sie waren gerade am Gerichtsgebäude vorbeigefahren, als Lou die Rede des Bürgermeisters zur Sprache brachte und Cotton fragte, warum seine Begeisterung so gedämpft gewesen sei.
»Nun, ich habe schon einmal erlebt, wie diese Stadt aufgeblüht und dann wieder verarmt ist«, sagte Cotton. »Und das geschieht meist dann, wenn die Politiker und Geschäftsleute am lautesten jubeln. Deshalb weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht ist es diesmal ja anders, aber ich kann’s nicht so recht glauben.«
Lou dachte darüber nach, während der Lärm der Feiern hinter ihnen verebbte, und dann war von dem Jubel gar nichts mehr zu hören; er wurde verdrängt vom Wind, der um die Felsen und Bäume pfiff, als sie den Berg hinauf und nach Hause fuhren.
Es hatte nicht viel geregnet, aber noch machte Louisa sich keine Sorgen, wenngleich sie jeden Abend betete, der Himmel möge endlich aufreißen und sich heftig und ausgiebig entleeren. Sie jäteten Unkraut auf dem Maisfeld; es war ein heißer Tag, und die Fliegen und Mücken waren ausgesprochen lästig. Lou scharrte in der Erde. Irgendetwas schien sie zu stören. »Wir hatten doch schon so viel Arbeit mit dem Säen. Kann das Getreide denn nicht wenigstens von allein wachsen?«
»In der Landwirtschaft kann vieles schief gehen, und das eine oder andere geht fast immer schief«, erwiderte Louisa. »Und die Arbeit hört nie auf, Lou. So ist es nun mal.«
Lou holte mit der Hacke aus. »Bei so viel Plackerei müsste dieser Mais ja verdammich gut schmecken.«
»Das hier ist Futtermais«, klärte Louisa sie auf. »Für die Tiere.«
Lou ließ beinahe die Hacke fallen. »Wir rackern uns ab, um die Tiere zu füttern?«
»Sie arbeiten schwer für uns, deshalb müssen wir auch für sie arbeiten. Auch Tiere leben nicht von Luft.«
»Genau, Lou«, mischte Oz sich ein, während er dem Unkraut mit kräftigen Hieben den Garaus machte. »Wie sollen Schweine fett werden, wenn sie nichts zu fressen kriegen? Verrat mir das mal.«
Nebeneinander arbeiteten sie sich über die hügeligen Maisfelder voran. Die glühende Sonne über ihnen schien so nahe zu sein, dass es Lou beinahe vorkam, als brauchte sie nur den Arm zu heben und sie könnte die Sonne vom Himmel nehmen und in die Tasche stecken. Ringsum zirpten die Laubheuschrecken und Grillen ihre mannigfaltigen Melodien. Lou hielt beim Hacken inne und beobachtete, wie Cotton vor dem Haus vorfuhr und aus dem Wagen stieg.
»Oz glaubt ganz fest daran, dass es Mom irgendwann besser geht, bloß weil Cotton jeden Tag herkommt und ihr was vorliest«, sagte Lou zu Louisa, wobei sie darauf achtete, dass ihr Bruder sie nicht hörte.
Louisa schwang die Hacke mit der Kraft einer jungen Bauersfrau und der Geschicklichkeit einer alten. »Ja, es ist schrecklich, dass Cotton deiner Mutter hilft.«
»So hab ich ’s nicht gemeint. Ich habe Cotton sehr gern.«
Louisa hielt inne und stützte sich auf die Hacke. »Das solltest du auch, denn Cotton Longfellow ist ein guter Mann, wie ’s keinen zweiten gibt. Seit er in die Berge kam, hat er mir in schweren Zeiten oft geholfen. Nicht nur als Anwalt, auch mit seinen starken Armen. Als Eugenes Bein verletzt war, kam Cotton einen Monat lang jeden Tag, um auf dem Feld zu arbeiten. Dabei hätt er in der gleichen Zeit in Dickens viel Geld verdienen können. Er hilft deiner Momma, weil er möchte, dass es ihr besser geht. Er will, dass sie dich und Oz wieder in die Arme schließen kann.«
Lou erwiderte nichts darauf, hatte jedoch Schwierigkeiten, das Unkraut aus der Erde zu hacken. Sie zerriss es, statt es herauszuhebeln. Louisa nahm sich die Zeit, ihr noch einmal zu zeigen, wie es gemacht wurde, und schon bald beherrschte Lou die Technik.
Sie arbeiteten einige Zeit schweigend, bis Louisa sich aufrichtete und sich den Rücken rieb. »Mein Körper rät mir, ich soll’s ein bisschen langsamer angehen lassen. Aber mein Körper möchte auch im nächsten Winter was zu essen haben.«
Lou ließ den Blick über die Landschaft schweifen. Der Himmel sah aus wie in Öl gemalt, und die Bäume schienen jede freie Fläche mit ihrem satten Grün auszufüllen.
»Warum ist Dad niemals hierher zurückgekommen?«, fragte Lou leise.
Louisa folgte dem Blick des Mädchens. »Kein Gesetz verlangt, dass jemand an den Ort seiner Geburt zurücckehren muss«, erwiderte sie.
»Aber er hat so viel darüber geschrieben. Ich weiß, dass er gern hier gelebt hat.«
Louisa schaute das Mädchen an und meinte: »Lass
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