Das Versprechen
Fuß oder auf Traktoren zu Louisa geeilt. Sogar ein zerbeulter Packard, dem sämtliche Türen fehlten, hatte es bis auf den Hof geschafft. Bewaffnet mit Tellern voller Speisen und Gläsern mit Apfelwein, traten die Leute sich gegenseitig auf die Füße. Es gab keinen Prediger, der Trost gespendet hätte, aber ein paar Leute drückten den Freunden des Verstorbenen mit gedämpften Worten ihr Mitgefühl aus. Der Zedernsarg stand im Wohnzimmer. Sein Deckel war bereits geschlossen und zugenagelt, weil niemand das Bedürfnis hatte, sich anzuschauen, was die Dynamitladung aus Diamond Skinner gemacht hatte.
Lou war nicht sicher, dass all diese alten Leute tatsächlich Diamonds Freunde waren, und vermutete, dass sie seinen Vater gekannt und geschätzt hatten. Und tatsächlich hörte sie, wie ein alter Mann namens Buford Rose, der eine üppige weiße Mähne, aber nur noch wenige Zähne besaß, leise murmelte, es wäre eine schreckliche Ironie, dass sowohl Vater als auch Sohn durch die verdammten Kohlenbergwerke ums Leben gekommen wären.
Sie betteten Diamond neben den Gräbern seiner Eltern, deren Hügel längst eingesunken waren, zur letzten Ruhe. Nacheinander lasen einige Leute Abschnitte aus der Bibel vor, und es wurden reichlich Tränen vergossen. Oz stand mitten zwischen ihnen und verkündete, dass sein mehrfach getaufter Freund ganz sicher einen Platz im Himmel hätte. Louisa warf einen Strauß getrockneter Wildblumen ins Grab, trat zurück, wollte etwas sagen, brachte dann aber kein Wort hervor.
Cotton hielt eine schöne Trauerrede für seinen jungen Freund und zitierte einige Passagen eines Geschichtenerzählers, den er, wie er hervorhob, besonders schätzte: Jimmy »Diamond« Skinner. »Auf seine eigene Art und Weise«, sagte Cotton, »hat er viele der besten Erzähler der Gegenwart in den Schatten gestellt.«
Lou sprach ein paar leise Worte, mehr an ihren Freund gerichtet, welcher nun tief unter der frisch aufgeworfenen Erde, die so süß und würzig roch und ihr dennoch Übelkeit verursachte, in der Holzkiste lag. Aber Diamond lag nicht zwischen diesen Brettern aus Zedernholz, sagte sich Lou. Er weilte nun an einem Ort hoch über den Bergen. Dort war er bei seinem Vater und sah endlich seine Mutter zum ersten Mal. Bestimmt war er glücklich dort. Lou hob die Hand, winkte zum Himmel und verabschiedete sich auf diese Weise noch einmal von einem Menschen, der ihr unendlich viel bedeutet hatte und der nun für immer von ihr gegangen war.
Ein paar Tage nach der Beerdigung waren Lou und Oz zu Diamonds Haus gewandert und hatten sich einen Überblick über seine Besitztümer verschafft. Lou sagte, Diamond hätte ganz sicher gewollt, dass Oz das Vogelskelett und die Patrone aus dem Bürgerkrieg bekäme, wie auch die steinerne Pfeilspitze und das primitive Fernrohr.
»Aber was kriegst du?«, fragte Oz, während er seine Erbstücke betrachtete.
Lou öffnete die Schachtel und holte das Stück Kohle heraus, in dem angeblich ein Diamant steckte. Sie nahm sich vor, den Kohlenbrocken sorgfältig abzutragen, Stück für Stück, ganz gleich, wie lange es dauerte, bis der funkelnde Kern frei lag, und dann würde sie ihn zu Diamond ins Grab legen. Als sie das kleine Stück Holz ganz hinten im Baumhaus liegen sah, ahnte sie, um was es sich handelte, noch ehe sie es aufhob. Es war eine geschnitzte, noch unfertige Arbeit, ein Stück Hickoryholz in Herzform. Auf einer Seite war der Buchstabe »L« eingeschnitzt, auf der anderen Seite ein fast fertiges »D«. Diamond Skinner hatte also doch schreiben können; zumindest wusste er, was die Buchstaben bedeuteten. Lou steckte das Holzstück und die Kohle ein, stieg vom Baum herunter und hörte nicht auf zu rennen, bis sie zu Hause war.
Sie hatten natürlich den treuen Jeb adoptiert, und er schien sich bei ihnen recht wohl zu fühlen, obgleich er manchmal ziemlich deprimiert wirkte und nach seinem alten Herrchen winselte. Doch auch ihm schienen die Ausflüge zu gefallen, die Lou und Oz zu Diamonds Grab unternahmen, und auf geheimnisvolle Weise, wie bei vielen Hunden, begann er stets zu jaulen und wild umherzuspringen, sobald sie sich dem Grab näherten. Lou und Oz streuten trockenes Laub auf den Grabhügel und saßen zusammen und unterhielten sich mit Diamond und miteinander und erzählten sich die spaßigen Dinge, die der Junge getan oder gesagt hatte, und von beidem gab es so viel, dass ihnen niemals der Gesprächsstoff ausging. Danach wischten sie sich die Tränen aus den Augen und
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