Das Versprechen der Kurtisane
»Vielleicht solltest du etwas trinken. Claret scheint deine Skrupel ziemlich schnell zu überwinden.«
Zorn durchzuckte ihn, dann Gewissensbisse, doch dann fand er seine Entschlossenheit wieder. »Nein.« Er verschränkte die Arme und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. »Ich bleibe die ganze Nacht hier stehen, wenn du willst, und höre mir alles an, was du mir an den Kopf werfen willst. Du darfst mich so lange beschimpfen, wie du willst, wenn es dir hilft. Aber hier draußen. Im Stehen. Angezogen. Ich werde nicht mit dir schlafen.«
»Dann hättest du mich zu Hause absetzen sollen.« Sie begann, einzuknicken. Er hatte ihre Pläne durchkreuzt, und jetzt hatte sie offenbar keine Ahnung mehr, was sie tun sollte. Ein Handschuh löste sich von ihrer Hand und hing schlaff in der anderen. Sie stand still, blinzelte und presste die Lippen zusammen.
Jetzt brach alles über sie herein, wusste er. Die Angst, die sie unterdrückt hatte, um die Pistole abfeuern zu können. Der Schreck und die Erniedrigung, die sie erlitten hatte, als der Mann, der sie aushielt, ihr ins Gesicht geschlagen hatte. Die Frage, wo sie in ein paar Tagen wohnen sollte und wovon sie leben würde. Vermutlich gesellten sich auch die alten, bereits vertrauten Verluste zum allgemeinen Jammer.
Er stieß sich von der Wand ab und trat zu ihr. »Ich glaube, du solltest dich umziehen und schlafen gehen.« Er nahm den Handschuh, steckte ihn sich in die Tasche, und begann, ihr den zweiten auch auszuziehen. So besänftigend, wie er konnte, sprach er weiter. »Heute können wir nichts mehr tun. Du wirst dich besser fühlen, wenn du ein bisschen geschlafen hast, und morgen früh überlegen wir uns, wie wir weiter vorgehen.«
Ihre Hand klammerte sich krampfhaft um seine. »Ich werde mich
nicht
besser fühlen. Ich werde mich nie mehr besser fühlen.« Sie starrte an ihm vorbei; ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.
Er wartete ab, ob sie mehr sagen würde, und als sie es nicht tat, löste er behutsam ihre Finger und zog den Handschuh ab. »Es ist ganz natürlich, dass du das jetzt denkst, nach so einem Tag. Angst hinterlässt immer Spuren. Aber sie verlieren mit der Zeit an Schrecken. Sonst würden Soldaten nie heimkehren, heiraten und Familien gründen.« Mit dem Handschuh in der Tasche stellte er sich hinter sie. »Wenn du erlaubst, knöpfe ich dein Kleid auf und öffne dein Korsett. Nur, damit du dich fertig machen kannst. Meine Absicht in Bezug auf deine Person hat sich nicht geändert.«
Sie ließ den Kopf nach vorne fallen und entblößte ihr Genick – nackt und unendlich verletzlich. Ihm schwindelte bei dem Anblick, und sein Atem wurde plötzlich flach. Wie leicht hätte er sie an diesem Abend verlieren können. Wenn ihre Pistole nach hinten losgegangen wäre, wenn sie nicht so gut gezielt hätte, wenn auch nur ein Bandit etwas schneller reagiert hätte …
Nein. Das war der Weg in den Wahnsinn. Er konzentrierte sich auf die Knöpfe, kleine, knochenfarbene Dinger mit geschnitzten Kanten, die sich uneben in seine Daumen gruben. Behutsam und züchtig zog er sie Schicht für Schicht bis aufs Hemd aus. Den Rest würde sie ohne seine Hilfe schaffen. Er sollte sich zurückziehen, im Schlafzimmer Wasser in die Schüssel gießen, damit sie sich waschen konnte.
Doch sie war so müde. Ihre Schultern hingen herab. Sie hatte beim Ausziehen nicht den geringsten Versuch unternommen, seine Verführbarkeit, die ihr wohlbekannt war, auszunutzen. Sie hatte auch nichts mehr gesagt.
Ach, zum Teufel! Er bückte sich und hob sie auf. Ihre Hand legte sich auf seinen Ärmel und ihre Muskeln entspannten sich alle auf einmal, Zustimmung so wunderbar, als wenn sie die erste Salve vertrauter Berührungen zwischen ihnen gewesen wäre und kein übersehenes Geschütz, das nachträglich ins Gefecht geworfen wurde.
Er blieb einen Augenblick lang mit geschlossenen Augen stehen und atmete ihren Geruch ein. Wenn es doch nur … Man durfte gar nicht daran denken. Doch einst waren sie von ganz ähnlichem Stand gewesen, jüngster Sohn und jüngste Tochter respektabler Familien, beide heiratsfähig mit unbefleckten Seelen. Wenn er ihr damals begegnet wäre … dann hätte er sie vielleicht eines Tages genau so über eine Schwelle tragen können, und …
Wahnsinn. Es führte zu nichts, sich dergleichen Gedanken hinzugeben. Die Schlafzimmertür stand halb offen; er benutzte den Fuß, um sie ganz aufzuschieben. Lydia hob den Kopf, um die Einrichtung zu betrachten. Dunkle
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