Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Versprechen der Kurtisane

Das Versprechen der Kurtisane

Titel: Das Versprechen der Kurtisane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Grant
Vom Netzwerk:
Schemen im Feuerschein. Stuhl, Tisch, Waschtisch, Mangel und das Bett, ganz nüchtern, mit schwarzen Pfosten und weißer Bettwäsche. Er trug sie dorthin und setzte sich. Falls sie fragen würde, was er da tat, würde er keine Antwort haben.
    Ihr Griff um seinen Arm wurde fester. Sie legte den Kopf an seine Schulter. Wo seine Arme sie umfingen, an den Schultern und in den Kniekehlen, spürte er, wie ihre Muskeln sich verkrampften, so als versuchte sie, sich ganz klein zu machen. »Ich möchte dir etwas erzählen«, sagte sie, und sein Herz begann davonzujagen wie ein Hetzhund.
    »Du kannst mir alles erzählen, was du möchtest.« Er hielt sie fester.
    Zweimal holte sie Luft, wie um anzusetzen, und stieß sie wieder aus. Beim dritten Anlauf schaffte sie es: »Ich habe dir erzählt, dass meine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind.«
    Hölle. Plötzlich wusste er alles.
    »Sie starben bei einem Straßenraub. Sie wurden ermordet, von Männern wie denen, die wir heute …« Ihre Stimme versagte, und sie verbarg das Gesicht in seinem Rock.
    Er atmete tief aus und legte das Kinn auf ihr hochgestecktes Haar. »Warst du bei ihnen?«
    Sie schüttelte den Kopf; ihre Stirn rieb gegen den Wollstoff an seiner Schulter. »Ich erholte mich noch von der Krankheit, von der ich dir erzählt habe. Sie wollten sich ein Haus ansehen, in einem anderen Teil von Lancashire. Sie wollten …« Sie begann zu zittern und gab den Tränen nach. »Sie hatten vor, unser Haus zu verkaufen und in eine neue Gegend zu ziehen, wo uns niemand kannte …« Sie ließ seinen Ärmel los und fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht. »Wegen dem, was ich getan hatte, hatten sie alles aufgeben und unter Fremden noch einmal ganz von vorn anfangen wollen. Wegen dem, was ich getan hatte, waren sie an dem Abend unterwegs.«
    Er zog sie enger an sich, so eng er konnte. Sie zitterte wie ein kleines, unglückseliges Beutetier in den Fängen der Trauer. »Es war ein Unglück.« Mit seinem Körper würde er jedes Zittern von ihr abfangen, wie er ihre Wut abgefangen hatte, als er sie von dem Mann weggezogen hatte, den sie erschossen hatte. »Ein Unglück und ein Verbrechen. Dich trifft keine Schuld.«
    »Das sage ich mir auch.« Sie ließ den Begriff
Unglück
unkommentiert. »Aber ich finde keinen Trost darin.« Noch tiefer vergrub sie den Kopf in seinem Rock. »Ich versuche mit aller Kraft, nicht daran zu denken, wie ihre letzten Minuten ausgesehen haben müssen.«
    »Ich weiß, Liebling.« Alles, was er hatte, legte er in diese Worte.
Ich weiß genau, wie viel Kraft es kostet, nicht daran zu denken.
Er wusste, dass verdrängte Erinnerungen, verdrängte Bilder im Bewusstsein lauerten und nur auf eine Bresche in der Verteidigung warteten, um hervorzubrechen. »Deine Albträume …«
    Sie nickte an seiner Schulter. »Ich glaube, ich habe ihr Ende hundertmal gesehen oder mehr.« Sie schluchzte und konnte kaum sprechen.
    »Ich habe meine Eltern auch verloren, wie ich dir gesagt habe.« Er legte einen Arm um ihre Schulter und streichelte ihr mit der anderen Hand über den Oberarm, eine entsetzlich dürftige Geste des Trostes. »Meine Mutter im Kindbett, als ich zehn war; meinen Vater nach einer langen Krankheit vor ein paar Jahren. Es ist schwer genug, wenn es eine natürliche Ursache hat. Niemand sollte ertragen müssen, was du ertragen hast.«
    Sollte.
Das war das fadenscheinigste Konzept überhaupt, oder nicht? Wie mit einer Steinschleuder gegen eine Sturmflut anzugehen. Unheil widerfuhr den Menschen, und sie ertrugen es, oder auch nicht.
Sollte
hatte nichts damit zu tun.
    Sie presste sich die Handballen auf die Augen. »Ich habe es nicht wirklich ertragen. Ich war nicht stark genug.« Sie zögerte. Ihre Stimme war fast nur noch ein Flüstern. »Ich wollte … das Leben ganz verlassen.«
    »Hast du …« Er schluckte. »Hast du versucht …« Und dann wurde es ihm klar. »Natürlich hast du das. Du bist ins Bordell gegangen.«
    Sie nickte wieder. »Ich dachte, ich würde mir die Pocken einfangen, mindestens. Ich dachte, das Leid würde mich vielleicht … reinigen, während es mich auffraß. Wie Feuer.« Einen Augenblick lang schwieg sie und betrachtete ihre Hände. »Ich hatte keine Ahnung.« Sie rieb die Handflächen aneinander und ließ die Hände sinken.
    »Du warst stärker, als du gedacht hattest.« Den Rest ihrer Geschichte konnte er sich allein zusammenreimen. Sie war ausgezogen, sich selbst zu zerstören, Schicht für Schicht, doch ganz im

Weitere Kostenlose Bücher