Das Versprechen der Kurtisane
wurden und schließlich stillstanden wie eine gelöste Gleichung. Vielleicht konnte sie Berechnungen anstellen. Es gab zu viele Variablen, um genau zu wissen, wie sie jeweils spielen musste, doch mit Papier und Bleistift, und Stunden harter, befriedigender Arbeit könnte sie vielleicht …
»Lydia.« Das Wort rammte ihr wohlklingendes Gedankenkonzert wie eine schrillende Klarinette. Sonderbar. Sie hatte gar nicht gewusst, dass es eine richtige und eine falsche Art gab, ihren Namen auszusprechen. »Träumst du?« Er hatte endlich die Augen geöffnet, um nachzusehen, weshalb ihre Dienste ausgesetzt hatten.
»Entschuldige. Das Licht hat mich abgelenkt.« Sie wischte die Klinge trocken und sah in den Spiegel. Er hatte die Augen wieder geschlossen.
Manche Männer wussten, wie man eine Dame ansah und ihr das Gefühl gab,
gesehen
worden zu sein. Oder vielleicht mussten sie gar nicht wissen, wie. Manche Männer taten es einfach.
Wie dem auch sei. Hier war der Mann, an den sie sich gebunden hatte, und hier war die Aufgabe, die unmittelbar vor ihr lag. Sie ergriff das Messer, legte es an seine Wange und zog. Die Seife türmte sich auf der Klinge auf. Doch manche Männer – sie kam nicht umhin, das zu bemerken – hätten sie dabei angesehen.
Erzähl mir, was dich beschäftigt
, hätte ein solcher Mann vielleicht gesagt.
Was denkst du?
Vielleicht hätte er es sogar erraten:
Es hat mit Karten zu tun, stimmt’s?
Sie nahm das Messer weg und klopfte die Seife ab. Ein Klecks Schaum und Stoppeln fiel leise platschend ins Wasser und vermischte sich mit dem übrigen Treibgut. Manche Männer hatten keinen Kammerdiener, nicht einmal eine Mätresse, und mussten sich selbst um ihre Rasur kümmern. Standen vielleicht hemdlos vor dem Spiegel, ein Handtuch nachlässig über die muskulöse Schulter geworfen.
Nicht, dass an Edwards Schulter irgendetwas auszusetzen gewesen wäre. Überhaupt brauchte er sich mit seiner Statur vor niemandem zu schämen. Und dennoch wandte sie sich ab, nachdem sie den letzten Strich getan, die Seife von seinem Gesicht gewischt und dabei im Spiegel gesehen hatte, wie bereits wieder unverkennbare Absichten in ihm erwachten. Sie griff nach seiner Weste.
»Genau zur rechten Zeit!« Energisch schüttelte sie die Weste aus. »Ich glaube, ich höre unten schon deine Kutsche kommen.« Wirklich genau zur rechten Zeit. Normalerweise folgten der Rasur mehrere Minuten besonderer Aufmerksamkeiten, wenn nicht gar eine Rückkehr ins Bett.
Er warf einen Blick über die Schulter zum Fenster, obwohl er die Straße natürlich gar nicht sehen konnte. Ein Mundwinkel zuckte unentschlossen. Seine Handfläche, die auf seinem Oberschenkel lag, strich über den Hosenstoff. Offenbar kämpfte er insgeheim mit der Berechnung der Fragen, wie schnell sie sein konnte, wie lange er den Fahrer anständigerweise warten lassen konnte, und ob er schon so erregt war, dass die ersten beiden Fragen keine Rolle mehr spielten.
Eine winzige Bewegung ihres Daumens über die fein gearbeitete Schulternaht der Weste war das einzige äußerliche Anzeichen ihres Unbehagens. Was würde sie tun, falls er von ihr verlangte, sich hinzuknien? Sie hatte ihn noch nie abgewiesen.
Nein. Ich möchte nicht.
Neue Worte lungerten auf ihrer Zunge herum. Sie konnte sie schmecken. Sie spürte, wie sie sich in ihrer Mund- und Nasenhöhle anfühlen würden. Sie stellte sich Edwards Überraschung vor, doch ihre Gedanken schraken vor dem zurück, was sie sich als seine Reaktion auf offenen Widerstand ausmalte.
Egal. Eine kluge Frau brauchte sich gar nicht offen zu widersetzen. »Eine wirklich schöne Weste.« Sie trat einen Schritt näher. »Hast du sie extra für das Mittagessen mit deiner Mutter ausgewählt?« Sie würde seine Mutter so oft erwähnen, wie nötig war, um sein Feuer zu ersticken.
»Verflucht noch mal, Lydia!« Missmutig stand er auf. »Warum musstest du unsere Zeit mit Tagträumen und Geschwätz über Karten verplempern? Ich hatte keine Ahnung, dass es schon so spät ist. Beim nächsten Mal musst du dich besser konzentrieren.«
»Das werde ich«, sagte sie, als sie ihm in die Weste half. »Meine Schuld«, und »Deine Mutter kann sich wirklich glücklich schätzen, einen so pflichtbewussten Sohn zu haben.« Noch ein halbes Dutzend solcher kleinen Schmeicheleien brachte sie an, bis sich die Haustür endlich hinter ihm schloss.
Einen Augenblick lang blieb sie mit dem Rücken an die Tür gelehnt stehen und presste die Handflächen in den Türrahmen. Alle
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