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Das Versprechen der Kurtisane

Das Versprechen der Kurtisane

Titel: Das Versprechen der Kurtisane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Grant
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es
Bedürfnis
zu nennen – zu teilen, was ihr so viel bedeutete, und zu sehen, dass jemand anderes es verstand und zu schätzen wusste.
    Hatte er diese Veränderung herbeigeführt? Hatte er mit seiner Frage eine Bresche in ihren Panzer geschlagen, durch die er nun zu ihr durchdringen konnte?
    Darüber konnte er später nachdenken. »Sie haben mich überzeugt.« Er schlug das Notizbuch zu, in dem er die richtigen und falschen Tipps verzeichnet hatte, und steckte es wieder ein. »Beziehungsweise haben die Ergebnisse mich überzeugt. Ich verstehe das Grundprinzip jetzt, obwohl mein intuitives Logikempfinden sich zuerst dagegen gesträubt hat.«
    »Der Intuition sollte man ebenso wenig vertrauen wie der Eingebung.« Sie nahm die drei Karten auf und steckte sie einzeln wieder in den Stoß. »Wenn Sie aufhören, auf dergleichen Dinge zu hören, und nur dem vertrauen, was Sie über Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit wissen, haben Sie den meisten Ihrer Gegner etwas voraus. Ich hoffe, ich konnte Sie heute Abend ein wenig davon überzeugen.«
    »Heißt das, dass wir für heute Schluss machen?« Seine Stimme klang hohl vor aufgesetzter Unbekümmertheit. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihm gar nicht bewusst gewesen, wie schlecht er darauf vorbereitet war, diese kleine Welt, in der sein Wert nur an seinem Verständnis für Wahrscheinlichkeiten gemessen wurde, wieder zu verlassen.
    An ihrer Reaktion erkannte er, dass sein Tonfall ihn verraten hatte. Ihre Lippen verengten sich, während ihr Blick über sein Gesicht huschte. Als wenn seine Empfindungen dort geschrieben stünden. »Ich denke, das sollten wir«, sagte sie schließlich. Sie legte das Kartenspiel vor ihm hin. »Ich schlage vor, wir gehen mit fünf Minuten Abstand wieder nach unten, und in verschiedene Räume. Ich gehe nach Ihnen. In den Ballsaal. Sie können aus den anderen Räumen frei wählen.«
    »In Ordnung.« Er steckte die Karten ein und erhob sich. »Kann ich auf eine weitere mitternächtliche Unterrichtsstunde zählen, wenn wir uns das nächste Mal hier begegnen?«
    Sie nickte und betrachtete ihre auf dem polierten Tisch verschränkten Finger. Sie schwieg.
    Will schob seinen Stuhl unter den Tisch. Sie blickte nicht auf. Ihre Stirnfalten vertieften sich, und ihre Finger arbeiteten schwerer. Vermutlich ging sie jede Ungezwungenheit, die sie sich gestattet hatte, durch und bereute sie. Flickte die Schwachstelle in ihrem Panzer. Zählte jeden Zentimeter, den sie ihm entgegengekommen war, um die Distanz zurückzuerobern.
    Es gab nichts, was er tun konnte, also überließ er sie ihren Gedanken, verbeugte sich und ging.
    »Mr Blackshear«, sagte sie, als seine Hand den Türknauf berührte. »Will.«
    Er drehte sich um. Sie hatte die Hände zu einer doppelten Faust geballt und starrte darauf, als sei eine unendliche Weisheit auf einem kleinen Zettel darin verborgen. Ihre Wangen waren, wenn ihn nicht alles täuschte, leicht gerötet.
    »Ich glaube, mein Vorname wurde bereits in Ihrer Gegenwart erwähnt. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern.«
    »Lydia.« Der Name fiel wie das Alltäglichste der Welt von seinen Lippen, wie die Antwort auf ein altbekanntes Rätsel, denn nur so konnte er sie beruhigen.
    Sie nickte und sah aus, als würde sie ihr Angebot am liebsten sofort wieder zurücknehmen.
    Also empfahl er sich, bevor sie die Gelegenheit dazu hatte. Und ließ sich den Namen auf dem Weg zurück ins Speisezimmer auf der Zunge zergehen wie einen edlen Wein. Ob seine Füße beim Gehen auch nur eine einzige Treppenstufe berührten, konnte er nicht sagen.

8
    König Kieferknochen. Also wirklich.
    Mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand hielt Lydia Edwards Kinn hoch. Mit der rechten zog sie das Rasiermesser darüber. Die winzigen Bartstoppeln wichen der Klinge, die den Hals empor, unter dem Kiefer entlang und dann über sein rechteckiges Kinn fuhr. Sie schlackerte das Messer durchs Wasser und streifte es gewandt an einem Handtuch ab, erst die eine, dann die andere Seite.
    Er hatte die Augen geschlossen, als sie ihn eingeseift hatte, und saß noch immer so da: den Kopf in den Nacken gelegt, die geöffneten Hände auf der Hose, ruhig und entspannt und daran gewöhnt wie ein … nun, wie ein König. Vielleicht sogar einer mit markanten Kieferknochen. Sie ging erneut ans Werk und legte zwischen den eingeseiften Stoppeln eine weitere Spur glatter Haut frei.
    Im Spiegel sah sie ihre eigene Gestalt hinter ihm, züchtig und strebsam, wie des Königs fleißiger Kammerdiener. Oft

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