Das Versprechen der Kurtisane
Muskeln spannten sich, unverständlicherweise, als ob Edward kehrtmachen und an die Tür trommeln würde, um doch noch Ansprüche zu stellen – was er natürlich nicht tun würde – und als ob sie die Hacken in den Boden rammen und sich mit aller Kraft und ihrem ganzen Gewicht dagegenstemmen würde.
Was sie natürlich nicht tun würde. Nicht tun konnte. Dennoch stand sie da und blickte auf ihre Abscheu hinab wie eine Seiltänzerin auf ein Haifischbecken, bis sie Hufgeklapper vernahm, als die Kutsche auf die Straße fuhr. Dann schnürte sie die sonderbaren Empfindungen fest zusammen, verstaute sie und machte sich an die Arbeit.
»Ich kann sie ehrlich nicht auseinanderhalten. Du?« Nicks Stimme war kaum mehr als ein Murmeln, obwohl es unwahrscheinlich war, dass ihm jemand zuhörte.
»Das winzige mit dem roten Gesicht, das noch nicht mal den Kopf heben kann, ist Andrews Jüngster. Master Frederick. Der Kleine, den Kitty gerade auf dem Arm hat.« Will nickte in Richtung der Ecke des Raums, in der gerade die Babys herumgereicht wurden.
»Na,
das
hätte ich dir auch gerade noch sagen können!« Sie waren schließlich alle extra eingeladen worden, um den jüngsten Neuzugang der Familie kennenzulernen, doch irgendwie war das Ereignis zu einer großen Fruchtbarkeitsfeier der Blackshears ausgeufert. Zehn Kinder gab es bereits in der nächsten Generation, und alle zehn waren im Salon seines ältesten Bruders anwesend. Einige taten ihr Bestes, gerade zu sitzen und sich der Ehre würdig zu erweisen, andere waren so glücklich, noch gar nichts von Manieren zu verstehen. »Das Allerkleinste wiederzuerkennen ist keine Kunst. Wenn sie etwas älter werden, sehen sie plötzlich alle gleich aus.« Nick deutete auf das Sofa neben dem Fenstererker, um das herum alle standen. »Ich glaube, einer der beiden, die auf Mirkwood herumkrabbeln, könnte mein Patenkind sein, aber ich will verdammt sein, wenn ich weiß, welcher.«
»Guck mich nicht so an. Ich hätte schwören mögen, das wären beides Mädchen.« Vermutlich sollte er das nicht sagen – zweifellos wären die Eltern zutiefst beleidigt, wenn sie ihn hören könnten – doch Nicks schlecht verhohlenes Prusten hatte eine heilende Wirkung, der er einfach nicht widerstehen konnte. Es musste Jahre her sein, dass er mit seinem Bruder so unbeschwert und sorglos hatte lachen können. Oder überhaupt mit einem seiner Geschwister.
Am anderen Ende des Raums sah seine ältere Schwester von dem Kind auf, das sie gerade bewundert hatte, und lächelte. Kitty war das genaue Gegenteil von Miss Slaughter, ging ihm auf. Er brauchte keine halbe Sekunde, um ihr anzusehen, welche Freude und Erleichterung sie darüber empfand, dass ihre beiden Brüder heimlich über irgendetwas lachten, wie sie es in unbeschwerteren Tagen so oft getan hatten.
Er wandte den Blick von den Emotionen in Kittys Gesicht ab und schaute vage in Richtung des Sofas, auf dem Marthas Mr Mirkwood und Kittys Mr Bridgeman sich unterhielten. Vermutlich würde er sich irgendwann wieder unter diesen Menschen zu Hause fühlen. Immerhin waren sie seine Familie, sein Blut, die einzigen Seelen auf der Welt, die seine Erinnerungen an eine kränkliche Mutter und einen ernsten Vater, die die Welt der Lebenden zu früh verlassen hatten, teilten.
Und dennoch drückte er sich seit seiner Rückkehr, die inzwischen Monate zurücklag, vor Besuchen. Mit Nick hatte er noch am meisten zu tun gehabt, doch das war vor allem dem Geschäftlichen geschuldet. Selbst jetzt, wo er weiter hätte herumalbern können, rief die Pflicht. Er zupfte sich einen Fussel von der Manschette. »Erinnerst du dich an diesen Grigsby, dem du mich vorgestellt hast? Der die Geldanlage eingerichtet hat?«
»Habe ihn gestern erst gesehen, in der Nähe von
Lincoln’s Inn.
« Nick drehte sich zu ihm um und widmete ihm seine ganze Aufmerksamkeit. »Willst du seine Dienste schon wieder in Anspruch nehmen? Noch ein Waisenkind gefunden, das einen anonymen Wohltäter braucht?«
Will schüttelte den Kopf. »Diesmal geht es um eine Dame, der ich einen Gefallen tun möchte.«
»Hoffentlich nicht die Mutter? Nach allem, was Grigsby mir erzählt hat, hast du schon mehr für diese Familie getan, als man von dir erwarten konnte.«
Grigsbys Diskretion ließ offenbar zu wünschen übrig. Und über das Ausmaß von Wills Verpflichtung durfte dieser sich kein Urteil erlauben. »Nein, nicht die Mutter. Und das Geld ist ihr eigenes. Eine Bekannte von mir möchte ihre Ersparnisse anlegen,
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