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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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nach oben auf die Knie gelegt, und schaut irgendwohin, über Modráčeks Schulter hinweg, und als würde er ihm überhaupt nicht zuhören. Modráček spricht ja auch schon lange, und eigentlich wiederholt er sich. Er sagt schon zum dritten oder vielleicht sogar vierten Mal das Gleiche. Aber da ist nichts dagegen einzuwenden, ein solch gründlicher und ausführlicher und vor allem vollkommener Plan sollte ruhig mehrmals wiederholt werden.
    Vollkommen, habe ich gesagt, obwohl ich nur allzu gut weiß, und im Titel dieses Kapitels habe ich das auch zum Ausdruck gebracht, dass der ganze Plan auf üble Weise den Bach runtergehen wird. Aber trotzdem ist er, und darauf bestehe ich, so vollkommen, dass es gewissermaßen fast bezaubernd ist. Alles greift ineinander in diesen Tagen und spielt dem Architekten in die Hand. Bis es auch ihm schon verdächtig zu werden anfängt.
    Schlafen Sie sich gut aus dafür, Hochwürden, mahnt Modráček und ist einen Moment lang unschlüssig, ob sich das überhaupt ziemt, aber dann drückt er VaterKlenovský doch freundschaftlich die Schulter und verlässt schnell den Raum.
    Er muss durch die kleine Menschenschar durchgehen, die vor dem experimentellen Bau, den er die „unterirdische Stadt“ nennt, versammelt ist. Auch dieses sein Meisterstück muss er verlassen, und die „unterirdische Stadt“ wird bestimmt ebenfalls zugrunde gehen. Aber dieser Bau hat ihn hier unter diesen außergewöhnlichen Bedingungen auf eine Menge Dinge gebracht, auf eine Fülle von Erkenntnissen, und das nicht nur technischer Natur. Letzten Endes allerdings nimmt er es sich ja mit: Er kann sein Meisterwerk jederzeit und an jedem beliebigen Ort wieder aufbauen. Er hat eine maßgebende Erkenntnis gewonnen, und das ist die Basis, auf der er buchstäblich noch Wunder vollbringen kann.
    Alle schweigen jetzt und machen ihm Platz, und alle wissen bereits, dass ihre Tage hier zu Ende gehen und dass sie schon bald in die Welt zurückkehren werden, aus der sie herausgerissen wurden. Und wie feindlich diese Welt jetzt gerade freien menschlichen Wesen gesinnt sein mag, leben dort doch ihre Lieben, und Fichten, Kastanien, ganze Alleen davon, Apfelbäume, Klatschmohn wachsen dort, und am Tag scheint dort die Sonne, und in der Nacht sieht man Sterne.
    Und Modráček fällt ein, dass er sich jetzt von allen würdig verabschieden, von einem zum anderen gehen und jedem die Hand drücken sollte. Und dass das aus vielen Gründen angebracht wäre. Aber etwas hält ihn davon ab. Und was ist er hier eigentlich für sie gewesen? Jetzt am Ende wäre es nicht schlecht, das zu wissen. Mitgewohnter Sorgfalt schließt er die gepanzerte Tür ab und zieht zu, was er den Rollladen nennt und was eine Art pfiffige, absolut zuverlässig abdeckende Blende ist, die den Eingang in den Untergrund tarnt. Er steigt die Treppe rauf und bleibt stehen unter der in die Wand gegenüber dem Kellereingang eingelassenen Heiligenfigur. Er überlegt, ob er nicht auf etwas Wichtiges vergessen hat. Und dann geht er für einen Moment vors Haus, um zu verschnaufen.
    Ein warmer Septemberabend. Übermorgen zu dieser Zeit wird er schon in Wien sein, und in die österreichische Westzone zu kommen, ist angeblich kein Problem. Er steht dort neben dem Tor, unweit seines geparkten Škodas, eines großen Sedan Popular, und lehnt sich an der Auslage einer Obst-und-Gemüse-Verkaufsstelle an. Aus der gegenüberliegenden Gastwirtschaft Cajpl kommt ein kleines Mädchen mit einem Krug Bier heraus, offenbar hat sie es für ihren Papa zum Abendessen geholt. Und als sie gegenüber, auf der anderen Straßenseite, Modráček sieht, lächelt sie ihn an. Und in Anbetracht der Tatsache, dass wohlerzogene kleine Mädchen gewöhnlich nicht über die Straße hinweg fremden Herren zulächeln, begreift Modráček, dass jemand dieses kleine Mädchen nur benutzt hat, um mittels ihres Lächelns ihm, Modráček, ein weiteres gutes Zeichen zu senden. Vielleicht hat ihm das Schicksal selber auf diese Weise über die Straße hinweg seine freundschaftliche Visitenkarte gereicht. Schau, schau, wie hinterlistig die Welt der schicksalhaften Zeichen, jener semiotischen Irrlichter, ist!
    Als er dann die Wohnungstür hinter sich schloss und aufmerksam durch alle Räume ging, im Bewusstsein, dass in drei, vier Tagen hier die Geheimpolizei aufkreuzen würde, vergewisserte er sich, dass alles in Ordnung war, das heißt, dass sie hier nichts fänden, was ihnen ermöglichen würde, auch nur irgendetwas zu

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