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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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dauerte es noch vier Jahre, bevor Nabokov sich endlich in Bewegung setzte und imMai 1937 seine Frau und den dreijährigen Sohn Dmitri mit sicherer Begleitung nach Paris schickte. Er selbst machte daraufhin die gleiche Reise, mit einem Umweg über Wien, und zwar noch vor der Okkupation Österreichs durch Hitler. Und vor der Abreise schickte er Zdeněk Modráček einen russischen Brief, aus dem ich mir hier nur eine kleine Passage in meiner eigenen holprigen Übersetzung zu zitieren erlaube:
    „… ich fliehe aus Berlin, das sich schon längst in eine Falle verwandelt hat, die jeden Tag bereits definitiv zuschnappen kann. Aber unterwegs eile ich noch nach Wien, um dort meinen guten Freund, den Entomologen Fritz Bölsche, zu besuchen. (Würden Sie sich ein wenig mehr für die Entomologie interessieren, mein teurer Freund, wüssten sie beispielsweise, dass ein Ladoga-camilla-Bölsche-Schmetterling existiert, was eine ziemlich seltene Mutation der ansonsten weit verbreiteten, schon von Carl von Linné verzeichneten Spezies ist, aber im Grunde genommen kann ich dieses Wissen gar nicht von Ihnen verlangen, weil von der Ladoga-camilla-Bölsche-Mutation, benannt nach meinem guten Freund Bölsche, nur wirkliche Experten in entomologischer Taxonomie wissen.) Aber ich muss Ihnen auch sogleich eingestehen, mein teurer Freund, dass ich meinen guten Freund Fritz Bölsche nicht nur zu besuchen gedenke, sondern ihn kurzerhand entführen möchte. Ich würde ihn nämlich zu überzeugen versuchen, sich mir anzuschließen, weil ich die fatale Ahnung hege, dass Hitler sich schon bald auch an Österreich delektieren wird. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie, teurer Freund, fragen, und das ist derursprüngliche Zweck dieses Briefes (ein Zweck, der dann allmählich von weiteren Zwecken überlagert wurde – da ich Ihnen Briefe doch mit ebensolcher Lust schreibe, mit der ich, mir die Sonntagsessen meiner Kindheit auf unserem einstigen Landsitz in Vyra ins Gedächtnis rufendes, Pfirsichkompott zu mir nehme), nun denn, ich wollte Sie, mein teurer Freund, fragen, ob Sie etwas dagegen einzuwenden hätten, wenn ich es mit Freund Bölsche aus Wien über Brünn versuchen würde, im Übrigen ruft die Nähe und Wesensverwandtschaft jener beiden Städte schier nach einer Doppelstadt in einer fernen, idyllischen Zukunft. Wir würden nur bei Ihnen vorbeikommen, Sie begrüßen und alsgleich wieder enteilen, weil ich mich auch in Prag zeigen, meine Mutter besuchen und sie eventuell überzeugen will, sich uns anzuschließen. Aus der Korrespondenz mit ihr weiß ich jedoch, dass es ihr in Prag ungeheuer gut gefällt, denn so nahe sich Brünn und Wien sind, sind sich, Sie werden es mir nicht glauben, wiederum Prag und Sankt Petersburg, und gar nicht so sehr durch den Typus der Architektur, das vielleicht überhaupt nicht, dafür jedoch umso mehr durch eine gewisse dunkle und strenge Verträumtheit …“
    Zu diesem Fragment aus Nabokovs Brief vielleicht noch eine Bemerkung: Der Ladoga camilla ist – wie durch Einsichtnahme in einschlägige Enzyklopädien von mir überprüft – ein Schmetterling aus der Familie der Nymphalidae, somit Nymphenfalter, und auch bei uns verbreitet, wir kennen ihn als zweireihigen Eisfalter, und am häufigsten können wir ihm auf Brombeerblüten begegnen. Dastrifft allerdings nicht auf die erwähnte, nach dem Wiener Entomologen Bölsche benannte Mutation zu. Die ist bei uns nicht zu finden. Sie kommt nur in der südlichen Vorstadt von Wien vor.

LEUTNANT LÁSKA IM KREISE SEINER FAMILIE
    Leutnant Láska alias Rudolf Švarcšnupf steckt den Schlüssel ins Schloss, dieses jedoch sträubt sich, ja widersetzt sich sogar verärgert, sodass Láska läuten muss. Eine große schlanke Frau öffnet ihm, geben wir’s zu, sie heißt Marta, auch wenn Marta Švarcšnupfová ebenfalls grässlich klingt, aber so ist nun mal das Leben.
    Dieses Schloss macht mich rasend, beschwert sich Láska und dreht den unnützen Schlüssel zwischen seinen Fingern. Ein furchtbarer Tag. Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde lieber als Friseur oder Schuster arbeiten, allerdings geht man von dem, was ich mache, vom Dienst der sozialistischen Sicherheit, nur im Holzpyjama weg. Was ist mit Anni?
    Sie spielt im Hof, erwidert ihm Marta. Das hört Láska jedoch gar nicht gern. Im Hof gibt es Mülltonnen und modrige Matratzen, rostige und löchrige Töpfe, auch Ratten laufen dort herum, und in der Nacht pissen manche Besoffene von den Pawlatschengängen

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