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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Rendezvous mit dem Schicksal.
    Er nahm am Freiheitsplatz die Straßenbahn und stieg am Platz der Roten Armee um und fuhr über den Žerotínplatz durch die lange Veveří und dann über den Konečnýplatz bis nach Žabovřesky, wo er neben der Kapelle auf dem Burianplatz ausstieg und durch die Šmejkalova ging, und als er sich der Eliška-Machová-Gasse näherte, verlangsamte er seine Schritte, um dann noch langsamer zu werden, bis er sich regelrecht dahinschleppte, Schritt für Schritt, und dann erblickte er schon das Eckhaus an der Šmejkalova und der Eliška-Machová und blieb stehen. Unglaublich, aber im Rückblick hätte er nicht sagenkönnen, ob er drei Minuten oder vielleicht eine ganze Stunde so dort gestanden war.
    Als er schließlich in die Eliška-Machová-Gasse einbog, war das Erste, was ihm zu Bewusstsein kam, dass mit seinem Kommen gerechnet wurde. Obwohl sie ihm ausdrücklich verboten hatten, das Haus, das er für seine Schwester gebaut hatte, zu betreten zu versuchen, wussten sie, dass er nicht gehorchen würde, und hatten sich darauf eingestellt. Ein Polizist in Paradeuniform promenierte auf und ab, die Pistole im Halfter klatschte an seinen Arsch, zehn Schritte hin und zehn wieder zurück.
    Modráček wechselte auf den anderen Gehsteig, um nicht mit dem Polizisten zusammenzustoßen und um eine gute Sicht auf die Villa zu haben. Und dann geschah es. Er sah, wie auf dem Balkon des Hauses seiner Schwester Leutnant Láska stand und neben ihm offenbar seine Frau, und sie hielt ein Kind im Arm, ein kleines Mädchen. Eine zufriedene Familie, eingenistet im Haus seiner ermordeten Schwester.
    Modráček kehrte bis zum Morgen nicht in seine Wohnung zurück. Er streifte durchs nächtliche Brünn, das damals, zu Beginn der Fünfzigerjahre, dunkel und ausgestorben war wie während irgendeines Standrechts oder bei Luftangriffen. Und in dieser dunklen und ausgestorbenen Stadt begegnete er zum ersten Mal jenem furchtbaren Gedanken. Aber da war dieser noch ohne Seele und auch ohne Gestalt. Er war nur eine Art Nachtinsekt, das in seinem kranken Kopf herumschwirrte.

APERITIF UND HAUPTGANG
    Nachdem ich bei der Haltestelle Jundrov aus der Tram gestiegen war, folgte ich dem Feldweg, bis ich das Zirkuszelt erblickte und den Wohnwagenparkplatz und die Raubtierkäfige. Und ich verspürte jenen seltsamen fiebrigen Schauder, den ich in den Zeiten, als das Detektivhandwerk mein tägliches Brot zu sein pflegte, so gut gekannt hatte. Und es liefen mir wieder Ameisen über den Rücken, wie im Übrigen nur kurz vor dem Fick mit einer unnahbaren Partnerin, der ich lang hatte nachlaufen müssen. Oder vor den Bildern von Chittussi.
    Ich kaufte mir eine Eintrittskarte für die Abendvorstellung, und weil noch Zeit war, streifte ich zwischen Tierkäfigen und Wohnwägen herum und warf zusammen mit weiteren Schaulustigen einen Blick in die Stallungen der Araberhengste (das heißt, sofern es Araberhengste waren, Pferde sind nicht mein Parkett).
    Es passiert mir oft, dass ich, wenn ich etwas unter die Lupe nehme, das von mir Gesuchte, falls es in irgendeinem unauffälligen Detail versteckt ist, unter Umständen nicht sofort, sondern sozusagen erst rückwirkend sehe. Wenn ich anschließend nämlich die ganze von mir untersuchte Route nochmals vor meinen Augen vorbeiziehenlasse, so wie sie von dem, was ich als meine innere Kamera bezeichne (ich habe zweifellos ein einzigartiges visuelles Gedächtnis, unerlässlich in der Ausrüstung eines Profis), aufgenommen wurde, geschieht mir mitunter, was ich als imaginative Einblicke bezeichne und worauf mich vor vielen Jahren ein indischer Geschäftsmann gebracht hat. Aus Dankbarkeit und als Lohn dafür, dass ich den vermeintlichen Selbstmord seines Bruder für ihn aufgeklärt hatte, der sich als Mord erwies, und ich zeigte für ihn auch mit dem Finger auf den Mörder und hielt diesen sogar fotografisch fest. Ja, es handelte sich um den sogenannten Saphirschlangen-Fall, der mich dann in Gesellschaftskreisen berühmt machte, die sich heute allerdings – gleich Kreisen auf dem Wasser – in Nichts aufgelöst haben.
    Ich ging also auch dieses Mal nach dem bewährten Rezept vor, das mir, falls ich Glück hätte, einen imaginativen Einblick in den gerade zu lösenden Fall gewähren würde.
    Ich entfernte mich deshalb ein Stück vom Zirkusareal und suchte mir ein Plätzchen am Ufer der Svratka und brach mir hier einen Zweig von einem Bocksdornstrauch ab und fegte damit eine nicht zu große Stelle sauber,

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