Das Versprechen des Architekten
in den schmalen Gang schon sperrangelweit offen war, dabei aber kein Billeteur dort stand, niemand, der mich darauf hingewiesen hätte, dass es noch zu früh war für den Film. Aber das Gleiche hatte sich ja auch in der Erzählung des Leiters vom Elektrohaus abgespielt, sodass ich alle Zweifel verjagte und in die geheiligten Räume des Lichtspielhauses eindrang und erst vor der Schwingtür zum Saal stehen blieb. Durch das runde Kajütenfensterchen sah ich die Leinwand im Saal und das auf sie projizierte Diapositiv, das die geehrten Damen im Kinosaal darauf hinwies, die Hütchen abzunehmen. Na perfekt, freute ich mich, die Molche sind im Tümpel, die Murmeln im Loch und die Eier in der Pfanne! Ich machte die Leica bereit und schlüpfte vorsichtig in den Saal und schaute sofort nach hinten, zur Vorführkabine. Und sah das halb geöffnete Türchen und das gedämpfte Licht, das über die kleine Treppe aus der Kabine kam. Ich ging die Wand entlang bis zur Kabine. Und erst da bemerkte ich, dass in etwa der fünfzehnten oder sechzehnten Reihe schon zwei Zuschauer saßen und auf die Leinwand mit dem Damenhütchen starrten. Und als ich ganz hinten angelangt war, unter den zwei kleinen Fenstern, aus denen, bald aus dem einen, bald aus dem anderen, schon in Kürze „Roter Schein über Kladno“ fließen würde, bückte ich mich reichlich unnötig, die Fensterchenwaren ja hoch über mir. Und dann stand ich bereits neben der halb geöffneten kleinen Tür zur Kabine. Aber das, was ich erblickte, übertraf meine Erwartungen bei Weitem. In der Vorführkabine lagen nämlich Matratzen auf dem Boden und auf ihnen so eine mamamäßige karierte Tuchent, und zwei Köpfchen guckten hervor, ach, ein dunkelhaariger Hänsel und eine blonde Gretel. Und jenes Frauengesicht entsprach zweifellos dem, das ich auf dem Foto vom Leiter vom Elektrohaus hatte. Und wenn ich bis zu dem Moment nicht auf meine böse Vorahnung geachtet hatte, die meinen Weg zum Kino Lucerna und zur Vorführkabine begleitete, so erhielt ich jetzt eine letzte Chance, eine letzte Warnung: Wie sonst hätte ich mir jenes halb geöffnete Türchen zur Kabine erklären sollen, wo sie so in aller Öffentlichkeit schusterten. Aber da hob ich schon die Leica, und es blitzte. Und als hätten die dort genau darauf gewartet: In der Sekunde warfen sie die Tuchent weg, und ich sah, dass sie angezogen, nämlich in Polizeiuniformen, dalagen, ein Bulle und ein Bullenweib. Ich setzte auf schnellen Rückzug, wollte türmen, aber von der anderen Seite, aus dem Saal, kamen mir die zwei Zuschauer entgegen, die ich in der fünfzehnten oder sechzehnten Reihe wahrgenommen hatte, Polizisten in Zivil. Ich blieb in der Mitte zwischen diesen zwei uniformierten und den zwei nicht uniformierten Polizisten stehen, und erst jetzt nahm ich zu meinem Entsetzen zur Kenntnis, dass mir aus dem Kokon der in die Hosentasche gestopften nassen Regenhaut im linken Hosenbein ein kleines Wasserrinnsal hinunterrann. Als ich zur Kabine geschlichen war, hatte ich nur jenes Licht aus dem halb geöffnetenTürchen im Auge gehabt, aber jetzt spürte ich in meiner Hilflosigkeit deutlich, wie ich dort ein Pfützchen machte, bestimmt zur großen Erheiterung dieser Polizeikotzbrocken, die sich sicher waren, ich hätte mich angepinkelt vor Schreck. Sie hatten mir alles nur vorgespielt. Es gab keine untreue Rychlík-Gattin und vielleicht existierte auch kein Rychlík. Natürlich erschrak ich, als sie mich zur Polizeiwache brachten, wer würde da nicht erschrecken, sie hatten mich ja bei detektivischer Schwarzarbeit erwischt, was den kommunistischen Gesetzen nach ein viel schwereres Verbrechen war, als wenn ich illegal Sakkos genäht oder Zähne plombiert hätte.
Und jetzt und hier machte Dan etwas höchst Ungewöhnliches. Er ging in die Speisekammer und holte sich eine Flasche Wodka. Wenn er und Meli beim Bumsen zechten, dann immer nur St. Laurent, Riesling oder Blaufränkischen, aus Gläschen, die auf einem Servierhocker standen. Weil nämlich bei einem guten Wein die Dinge von weicher Konsistenz zu fester übergingen, während sie bei harten Getränken im Gegenteil weich wurden. Aber in diesem Moment ging’s bereits einen Schmarren um die Konsistenz. Er goss die Schnapsgläser voll und gab zu, dass es ihm selbstverständlich viel lieber wäre, wenn sie doch mit etwas Besserem als mit Wodka anstoßen würden, aber die letzte Flasche Whisky, die er von einem Klienten noch in vorkommunistischen Zeiten bekommen hatte, sei längst
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