Das Versprechen des Architekten
Textilmanufakturen und Textilfabriken, die Aristokratie des „Österreichischen Manchester“, die dieses Viertel gegen Ende des neunzehnten und am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts für sich errichtet hat, ist schon vom sogenannten Schauplatz der Geschichte verschwunden –, trotzdem spielen sich hier immer noch intime Dramen wie auch Rokokogetändel ab, denn weiterhin hausen hier Satyrn undNymphen in den Baumwipfeln oder nisten in Ribiselund Himbeersträuchern und treiben auch mit der neuen Gesellschaftsgarnitur ihre schadenfrohen Streiche, denn wir alle – Herren wie kleine Leute, Moralisten wie Gauner – sind mit den gleichen Instrumenten des Verlangens ausgerüstet, und alle führt uns die Lust an der Nase oder an sonst was herum.
Es ist halb vier Uhr morgens, und der sowjetische Konsul Walentin Petrowitsch, betroppezt, weil er überhaupt nicht weiß, wie diese Naturburschen von der Vysočina wohl in solchen Situationen reagieren, ist – sich ein Kissen an die Schamgegend pressend – in seine Muttersprache verfallen: Gospoda, schto eto takoje? Eto stranno, eto … eto dasche swerchjestestwjenno … – Herrschaften, was soll das? Das ist seltsam, das ist …, das ist sogar gespenstisch … Und dann taumelt er auch schon nackt aus Ihrem Schlafzimmer hinaus.
Sie knallen die Tür zu und stürmen aus dem Haus, von Neuem hinters Lenkrad und zurück in die Stadt. Gerade ist Ihre ganze Welt zerbrochen. Nicht einmal dieses Ihr Zuhause ist mehr Ihr Zuhause. Vögel haben Nester, Füchse ihren Bau, nur Sie spüren, dass Sie jetzt das sind, was wir fünfzig Jahre später einen Homeless nennen werden. Ein Obdachloser in einem Luxustatraplan. Wir verstehen uns doch.
Da ahnen Sie noch nicht, wohin Sie jetzt eigentlich fahren. Aber dann dämmert es Ihnen langsam, als der Tatraplan durch das Stadtzentrum rauscht und dann über den Krautmarkt (den Platz des 25. Februars) die Steigung zu erklimmen beginnt, hinauf zum Dom.
Mühsam öffnen Sie die Autotür, der Tatraplan ist eingezwängt in der engen Gasse. Sie wissen nicht einmal, ob Sie an der richtigen Klingel läuten.
Hochwürden, dieser Genosse Polizist ist hier.
Und die Greisin, die Pater Mrch die Haushälterin macht, lässt Sie im kleinen Vorhaus stehen und trippelt weg, um dem alten Herrn aus dem Bett zu helfen.
Sie haben nie richtig gewusst, ob Pater Mrch tatsächlich dem Kaiser gibt, was des Kaisers ist, oder ob er es nur geschickt spielt. Aber er war der einzige Geistliche in Ihrem Rayon, den Sie schätzten. Alle anderen waren scheinheilige Zuträger, triefend vor Beflissenheit.
Sie kommen schon, um mich mitzunehmen, Herr Major? Soll ich mich anziehen?
Pater Mrch hat nur ein weißes Nachthemd an, sieht in dieser elenden Beleuchtung im Vorhaus jetzt aber aus, als wäre er mit einem funkelnden Ornat bekleidet. Und wie er so wankt in greisenhafter Schwäche und mit den Händen ausholt, um das Gleichgewicht zu halten, sieht es aus, als wolle er Genossen Sluka segnen.
Also treten Sie ein, mit was immer Sie kommen.
Die Haushälterin, die dort lauert, ob noch etwas zu tun sein wird und wie wem zu dienen sei, läuft jetzt ins Zimmer, um den großen Luster anzumachen, und blickt sich geschwind um, was noch wo aufzuräumen ist, damit es Hochwürden nicht zur Schande gereiche.
Auf einem Tischchen in der Zimmerecke in einer Art wunderlicher Gemeinschaft ein Kreuz aus rosa Glas und ein sitzender Plüschhund. Sie blicken sich recht verwirrt um, Sie entstammen einer nicht gläubigen Familie undbisher mit Priestern zusammengekommen sind Sie immer nur im Auftrag Ihres Amtes als mit Händlern mit dem Opium der Menschheit, sodass Sie nicht wissen, was Sie jetzt tun sollen, Sie blicken sich verwirrt um, während draußen schon eine Sommernacht endet und nicht weit weg von hier schon Leutnant Sosna den Chauffeur weckt, der Sie zeitig in der Früh nach Prag fahren soll, aber tief unten im Keller auf einem Stuhl neben der Mauer sitzt immer noch Leutnant Kal, den Sie vergessen haben, von seinem Kellerdienst abzuberufen.
RUCK, ZUCK!
Ich lag schon im Bett und las Balzacs Erzählung „Sarrasine“, die mir Doktor Štefl empfohlen hatte, jener seinerzeit so modische Frauenarzt sowie Autor von Detektivgeschichten und subtiler Kenner der französischen Literatur. Es war eine alte Übersetzung auf vergilbtem Papier, einst in der Reihe „Ottos Bibliothek der Weltliteratur“ erschienen, eine sprachlich hinreißend ausgeführte Übersetzung, die in Štefls Augen von geradezu
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