Das Versprechen des Architekten
brachte uns Zeitungen mit der offiziellen Version mit, aber auch irgendein Flugblatt, das in Brünn kursierte, und schilderte, wie auf dem Freiheitsplatz eine Arbeiterdemonstration mit dem Transparent „Raubt nicht die Arbeiterfamilien aus!“ marschierte und wie sich ihnen irgendeine Genossin in den Weg stellte und „Genossen, um Himmels willen, macht das nicht, stoßt dem Sozialismus nicht den Dolch in den Rücken!“ schrie, aber der Zug der Demonstranten blies sie weg wie Spreu, buchstäblich über Nacht hatten die Menschen alles verloren, was sie in Sparkassen, Strohsäcken und Geldbörsen gehabt hatten, und alle Proteste wurden dann hart liquidiert, das Volk hat schön eins in die Schnauze gekriegt, und Modráček berichtete uns davon sehr gern und sehr schön, weil es uns ja nicht betraf, wir lebten hier gemütlich vor uns hin in unserem unterirdischen Luxus, dem HerrnArchitekten hatte die gefallene Währung nämlich keinen Schaden zugefügt, er hatte schon anfangs 1953 seine finanziellen Mittel für den Bau der „horizontalen unterirdischen Stadt“ aufgebraucht, und weiter lebten wir nur noch von den herrlichen Schmuckstücken, die von den Deutschen zurückgeblieben waren, aus dem Brotbackkorb voller Schmuck, den die Deutschen den ins Gas abtransportierten jüdischen Brünner Familien gestohlen hatten und den sie hier versteckt hatten, als sie selber sich ihrem Schicksal entgegen auf den Weg machten, ich sitze neben der mit gespreizten Beinen daliegenden Gebärenden und warte, bis man mich brauchen wird, um wieder was zu reichen oder zu halten, das Köpfchen des Fötus bahnt sich schon den Weg wie eine Rammmaschine, die die Mauern erstürmen soll, die sie von der Welt dort draußen trennen (ach, ahnte die Rammmaschine bloß, dass sie sich nicht in eine Welt unter einem sonnigen oder sternenübersäten Himmel durchboxt, sondern abermals nur in eine weitere Gebärmutter, und zwar Höhlengebärmutter!), und die Frau Architekt hat wieder abrupt zu schreien aufgehört und beginnt jetzt gehorsam auf Štefls anleitende Berührungen und Instruktionen zu reagieren, richtet sich (das Becken mit einer zusammengerollten Decke unterlegt) ein wenig auf und beugt den Kopf bis zu den Brüstchen vor, greift unter den Knien mit den Händen nach ihren Beinen und zieht sie an, diszipliniert atmet sie tief zwischen den Kontraktionen und arbeitet redlich mit der Bauchpresse, die Gebär-Aktivistin, ich schaue zu, wie der Doktor mit der an ihre Vulva gelegten linken Hand zart das Köpfchen fasst, während er mit der rechten den Dammschützt, und dann lässt er schon das Köpfchen herauskommen und neigt es zart zum Damm hin und fischt die vordere Schulter heraus und hebt dann wieder ein wenig das Köpfchen an und zieht die hintere Schulter heraus, und als er dann den Fötus unter den Schultern fasst, flutscht dieser auch schon heraus wie ein Stöpsel – und da haben wir’s, guck!, und es ist ein Junge, Frau Modráčková!, und da herrscht Freude in der Alten Bleiche!, und was passiert Ihnen, wenn Sie jetzt ein bisschen lächeln?, also was ist, wird das gehen?, und jetzt Sie, Bětka, binden Sie die Nabelschnur ab, hier und dort oben noch, und damit’s Ihnen nicht leid tut, saugen Sie noch den Schleim aus dem Näschen und aus dem Mündchen, aber um Gottes willen, nicht mit dem Mund, Gnädigste!, wenn Sie sich umdrehen, steht hinter Ihnen ein Absaugapparat, und dann der Alkohol für die Desinfizierung, und vergessen Sie nicht, die Bindehäute einzutropfen, haben wir uns verstanden? –, und Štefl wäscht sich die Hände und entschuldigt sich, dass er jetzt einen Sprung weggeht, um eine Zigarette zu rauchen, der Herr Architekt ist zu mir gekommen, um sich beraten zu lassen, er weiß, dass ich eine Expertin bin, er hat ja auch in meinem Laden etwas für seine Geliebte eingekauft, wenn ich mich noch recht erinnere, ist es ein zauberhaftes Bracelet für eine zauberhafte Rothaarige gewesen, er zeigt mir sein Schmuckkästchen, einen immer noch mit Schmuck vollen Korb, ich tauche beide Hände in Modráčeks Schatulle und ziehe sie beladen mit diesen blitzenden Kleinodien heraus – ich kann mir vorstellen, wie schwierig sie zu verkaufen sind, wenn einer sich dabei nicht auskennt, jedermannlauert, wie er einen prellen kann, und wenn Sie nichts verstehen davon, woher nehmen Sie dann die Sicherheit, dass Sie nicht nur trügerischen Müll in der Hand halten, und umgekehrt: was, wenn Sie etwas Einzigartiges tief unter seinem Wert verkaufen,
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