Das Versprechen Des Himmels
Kauf und Verkauf zur Stütze von Freistatts aufstrebender Wirtschaft wurden. Die geschäftstüchtigsten Unternehmer sahen sich in Freistatt nach lukrativen Investitionen um. Die Stadt, die man einst als »Anus des Reichs« erachtet hatte, war jetzt der Ort, wohin sich vorausschauende Geschäftsleute dieses nun zerfallenden, von Kriegen gebeutelten Reiches wandten, um ein neues Leben aufzubauen.
Das traf auf viele Flüchtlinge aus dem unruhigen Ranke zu, die gutes Geld bezahlten, damit die Karawanenmeister sie durch die Wüste zu jener Hafenstadt unter der Herrschaft des rankanischen Prinzen Kadakithis und seiner beysibischen Gemahlin Shupansea brachten. Einige der Flüchtlinge hatten Verwandte unter der rankanischen Bevölkerung, die sie aufnahmen und ihnen aushalfen. Andere, wie Mariat, hatten diesen Vorteil nicht. Da es auch sonst niemanden mehr gab, an den sie sich hätte wenden können, hatte Mariat ihre drei Enkelkinder, die einzigen Überlebenden ihrer einst mächtigen und sehr wohlhabenden Familie, nach Freistatt gebracht, um dort ein neues Leben aufzubauen. Sie blickte optimistisch in die Zukunft, obgleich sie sich nur auf ihre Tatkraft und ihren Verstand verlassen konnte.
Beim Basartor hielt sie ihren Wagen an. Kendrick, ihr ältester Enkel, der den anderen Wagen lenkte, folgte ihrem Beispiel. Kendrick und seine Schwester Darseeya achteten wachsam darauf, daß sich niemand unbefugt den Wagen näherte. Zwar war der Junge erst vierzehn und das Mädchen zwölf, doch die vergangenen Ereignisse hatten sie über das normale Maß reifen lassen. Sie wußten, daß niemand die Ladung der beiden Planwagen sehen sollte, denn sie war die Zukunft von Mariats Familie.
Während ihre beiden ältesten Enkel aufpaßten und der jüngste hinten im Wagen schlief, ließ Mariat den Blick durch den Basar nach dem sichersten Weg hindurch zur besseren Wohngegend von Freistatt schweifen. Ihre kleine Gruppe bildete eine Insel regloser Ruhe in einem Meer hektischer Regsamkeit. Um sie herum raschelten die farbenprächtigen Röcke der S'danzo; Händler priesen lautstark Interessenten ihre Ware an; Garnisonssoldaten schritten kühn mit vielleicht nur scheinbarer Zielsstrebigkeit durch die Menge; da und dort sprachen Bettler die Leute an, und Taschendiebe bemühten sich, sich bei ihrer Arbeit nicht erwischen zu lassen. Das Blöken, Meckern und Wiehern der Tiere in ihren Pferchen unterschied sich nicht sehr von dem Lärm, den die Händler, Käufer und Diebe im Basar machten.
Es war nicht das erste Mal in den vergangenen Monaten, daß sich Mariat außerhalb ihres Elements fühlte. Sie strich durch ihr graues Haar, das zusehends weißer wurde, seit ihr früheres Leben zu einem abrupten, blutigen Ende gekommen war. Es war dieser Frau von mittleren Jahren nie in den Sinn gekommen, ihrem Haar die Farbe der Jugend künstlich zurückzugeben, wie es unter den Damen ihrer früheren Gesellschaftsschicht gang und gäbe gewesen war. Sie trug ihr graues Haar wie ein Ehrenzeichen, das jedem im Alter zustand. Ihre Tatkraft und positive Einstellung verliehen ihrem Gesicht und ihrer Haltung immer noch Jugendlichkeit und Anmut, trotz des Grauens, das ihr vor kurzem auferlegt worden war.
Sie war eine hochgewachsene, schlanke und sympathische Frau Mitte Fünfzig, mit aufrechter Haltung und dem kultivierten Benehmen und Charme einer Dame von Stand, die sie vor wenigen Monaten noch gewesen war.
Der erste Anblick von Freistatt hatte Mariat beeindruckt: die neue hohe Stadtmauer in der Morgensonne. Jetzt jedoch, während sie das Chaos und den Tumult des Basars vor sich hatte, nagten wieder Zweifel wie boshafte kleine Dämonen an ihr. Eine solche Gegend war einer Dame der oberen Gesellschaftsschicht von Ranke völlig fremd.
»Ah, da seid Ihr ja, Madame!« rief ein freundlicher und angenehmer Bariton, zu dem Mariat während ihrer Reise hierher Zuneigung gefaßt hatte.
Sie drehte sich um und sah den Spielmann Sinn durch die Menge auf sie zukommen. Während er sich zwischen zwei fetten Männern hindurchzwängte, die um den Preis eines Huhnes feilschten, hielt seine Rechte geschickt einen Straßenjungen davon ab, sich seine Börse anzueignen. Der bärtige braunhaarige Barde blickte leicht amüsiert auf den zitternden Bengel. Der kleine Bettler/Dieb staunte noch über die Flinkheit, mit der dieser Fremde ihn erwischt hatte, und erwartete nun verstört, der Wache zur gerechten Strafe übergeben zu werden. Aber Sinn lächelte ihn statt dessen an und drückte ihm ein
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