Das Versprechen Des Himmels
gesamten Publikums zu betrachten. Genaugenommen muß er ein vollständiges Publikum sein.
Doch ein Publikum beschränkt sich nicht nur darauf, ein Kunstwerk zu betrachten. Ein Publikum nimmt daran teil.
Wenn ein Theaterstück perfekt aufgeführt, aber von niemandem gesehen wird, dann ist es kein Theaterstück. Ein Gemälde, das niemand sieht, existiert nicht, nicht einmal für den Maler, denn Kunst (und alles andere im Leben, worauf es ankommt) hat die Aufgabe, Kommunikation herzustellen. Ein Baum, der in einem Wald ohne einen Beobachter umstürzt, verursacht kein Geräusch. Zumindest kein Geräusch, das ein Künstler verstehen könnte.
Ein Publikum kommt nicht nur ins Theater, es bringt etwas mit, nämlich Beobachtung, Anteilnahme und Reaktion. Wenn das Publikum nicht bereit ist, sich der Gefühlswelt und Sinnlichkeit zu öffnen, gleicht es einem Liebhaber, der nur daliegt und darauf wartet, bedient zu werden.
Es ist der gleiche Unterschied wie der zwischen den bedauernswerten Frauen, die sich auf den Pfaden im Garten des Himmlischen Versprechens herumtreiben, und den bildhübschen Damen, die über die Satinlaken im Aphrodisiahaus schweben. Der Unterschied zwischen einer Kurtisane und einer Hure.
Kurz gesagt, ein Publikum, das nicht bereit ist, seine Rolle zu spielen, ist unfähig, und es gibt nichts in einer Theateraufführung, nichts in einem Gemälde, nichts in einem Buch und nichts in einem Musikstück, das seine Haltung verändern wird, und ein Kritiker ersetzt das Publikum.
Es regnete, kurz, aber heftig genug, um die Tinte von den Wandzeitungen zu waschen, die die Gebäude der Stadt verschandelten. Im Palast tauchte ein neues Porträt auf, das seinen Platz an der Rückseite eines Wandschranks fand, ein Porträt, das Prinz Kadakithis erfreut von Lalo entgegennahm, das er aber nicht der Öffentlichkeit präsentieren wollte, denn durch Lalos außergewöhnliche Begabung zeigte es die wahre Seele eines häßlichen nackten Mannes in einem Pranger im Haus der Peitschen. Es war ein Porträt, das dem Prinzen von Nutzen sein könnte, sollte der neue Kaiser beabsichtigen, Freistatt einen weiteren Besuch abzustatten, und das Modell wußte, daß der Prinz das Bild besaß.
Einer kleinen Hündin mußte mit Nachdruck befohlen werden, in der Szene, in der sie auftrat, nicht so viele Kunststücke zu vollführen, da sie dem Star die Show stahl.
Und eines Abends, als sich alle Schauspieler in der Garderobe von der Aufführung erholten, waren die Blumenkübel voller duftender schwarzer Rosen.
Originaltitel: The Incompetent Audience
Copyright © 1989 by Jon DeCles
Ins Deutsche übertragen von Winfried Czech
Molin Fackelhalter
Ein guter Jahrgang
Duane McGowen
Es sprach sich herum, daß in Freistatt allmählich wieder bürgerliche Wohlhabenheit einkehrte. Die Schreckensherrschaft seit den Aufständen während des Seuchenalarms (8) gehörte schon fast der Vergangenheit an, da die verschiedenen kriegerischen Faktionen, die Freistatt in Zonen aufgeteilt hatten, sich aufgelöst oder die Stadt für gewinnträchtigere Kämpfe verlassen hatten. Die Straßen schienen in letzter Zeit verhältnismäßig friedlich zu sein, und die Lage schien sich zu normalisieren. >Schien< war in beiden Fällen das treffende Wort.
Keinen Zweifel gab es jedoch, daß die Wirtschaft einen Aufschwung nahm. Sowohl Beysiber wie Rankaner schienen Diplomatie militärischen Aktionen und Krawallen vorzuziehen. Die Terrorisierung durch die Vobfs, welche die Wirtschaft nahezu zum Stillstand gebracht hatte, gab es so gut wie nicht mehr. Gerüchte, die man glauben mochte oder nicht, besagten sogar, daß Zip, der ehemalige Führer der Volksfront für die Befreiung Freistatts, jetzt sogar von Amts wegen für die Sicherheit auf den Straßen verantwortlich war. Zwar hielten viele gerade dieses Gerücht für unglaubhaft, aber daran bestand kein Zweifel, daß die Nächte nunmehr frei waren von terroristischen Anschlägen und daß keine jugendlichen Banditen mehr während des Tages in Läden, Verkaufsstände und Schenken kamen, um von den eingeschüchterten Geschäftsleuten und Wirten Schutzgelder zu kassieren.
»Freistatt ist endlich, was Freistatt sein sollte«, waren die Kaufleute sich jetzt einig, denn sie profitierten am meisten vom Aufblühen der Stadt. Arbeiter und Handwerker, die von Molin Fackelhalter zum Mauerbau in die Stadt geholt worden waren, übten nun hier ihr Handwerk aus und trugen mit ihrem Lohn zur wachsenden Wohlhabenheit der Kaufleute bei, da
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