Das Versprechen des Opals
aber er hatte durchaus den Glanz in ihren Augen gesehen, als sie ihn gemustert hatte. Vielleicht war das gar nicht so übel.
Die Familie saß in der Küche beim Frühstück. Als er hereinkam, wurde es sofort still. Jake entging nicht, dass Chloe und ihre Töchter amüsierte Blicke tauschten. Fiona hat es ihnen also schon erzählt, dachte er verzweifelt. Er hörte ein unterdrücktes Kichern und spürte, dass er rot wurde. Hastig wandte er sich ab, um sich eine Tasse Tee zu nehmen.
Miriam brach das Schweigen. »Kümmern Sie sich nicht um sie«, befahl sie. »Es ist nur Spaß – und Sie sollten froh sein, dass Sie ihnen ein bisschen Freude gemacht haben.«
»Ist ja schon weit gekommen, wenn ein Mann nicht mal mehr in Ruhe duschen kann«, brummte er.
»Na toll, Jake«, rief Fiona. »Sie fordern ’s doch geradezu heraus, wenn Sie so über den Hof laufen!«
»Sie können drauf wetten, dass ich es nicht noch mal tun werde.« Er biss in eine Scheibe Toast.
»Ich muss unter vier Augen mit Ihnen sprechen«, sagte Miriam und sah ihn durchdringend an. »Wenn Sie gefrühstückt haben, kommen Sie nach nebenan.«
Eine Stunde später hatte Jake seine Sachen in den Geländewagen gepackt und war unterwegs. Als er das letzte Tor hinter sich schloss und wieder in den Wagen stieg, fiel sein Blick auf das Päckchen, das neben Eric auf dem Sitz lag. Miriam hatte ihm eine furchtbare Verantwortung auferlegt. Hoffentlich würde er sich ihres Vertrauens würdig erweisen.
Die ganze nächste Woche verbrachten sie damit, die zahllosen Kisten zu durchstöbern. Miriam hatte Briefe und Fotos gefunden, die sie vergessen hatte, und verschwendete einige Zeit damit, sie anzuschauen, der Familie alles zu erklären und sichin Erinnerungen zu ergehen. Überrascht stellte sie fest, wie viel von dem, was sich in Kisten und Kästen verbarg, ihr selbst gehörte; es war, als habe sie eine Schatztruhe voller Erinnerungen gefunden.
Hier war ein altes Fotoalbum mit Szenen aus den Diggercamps und längst vergessenen Gesichtern. Da waren die Tagebücher, die sie in den ersten Tagen in Sydney geführt hatte, und die, die sie in den dunklen Zeiten zweier Weltkriege hier auf Bellbird gefüllt hatte. Sie legte sie beiseite, um sie später zu lesen, denn über die persönlichen Details ihres Lebens – das Herzweh und das Leid, das sie erlebt hatte – brauchte die Familie nichts zu wissen. Aber damals, in den langen, einsamen Nächten, hatten diese Tagebücher ihr Trost gespendet.
Chloe faltete verträumt die winzigen Babysachen auseinander, die zwischen Lagen von Seidenpapier in einer Truhe lagerten, und zerdrückte eine Träne, als sie die ersten Schuhe der Mädchen fand, ihr Taufkleidchen und den federleichten Schal, den sie alle einmal getragen hatten. Fiona und Louise gruben altes Lieblingsspielzeug und Bücher aus und stritten sich fröhlich um die Frage, wem was gehört hatte, genau so, wie sie sich schon als Kinder gestritten hatten.
Leo saß zufrieden inmitten des Chaos, hatte ein Glas Brandy neben sich stehen und blätterte in alten Zeitungen, in denen vom Tod Königin Victorias berichtet wurde, von der Abdankung Edwards und der Krönung Georges. »Die Chronik eines ganzen Jahrhunderts«, murmelte er, als er sorgsam eine Kriegsausgabe entfaltete. »Die solltest du ordentlich lagern, Mim. Sie könnten eines Tages noch was wert sein.«
Miriam zuckte die Achseln. »Nimm sie mit, wenn du willst«, erklärte sie. »Ich brauche sie nicht mehr.«
»Seht mal, was ich gefunden habe.« Sie hob eine Schachtel vom Boden einer Kiste. »Was da wohl drin ist?«
Miriam beugte sich vor. Sie erkannte die Schachtel. Es war einmal Schokolade darin gewesen. »Das ist meine«, sagte sie leise und griff danach. »Ich habe besondere Sachen darin auf bewahrt. Aber ich wusste nicht mehr, dass ich sie auf den Dachboden gebracht habe.«
»Mach schon auf!«, rief Fiona begierig.
Miriam zog den Deckel ab, und Trauer erfüllte sie. Die Briefe waren noch da, mit Bändern verschnürt und im Laufe der Jahre vergilbt. Sie nahm sie heraus und hielt sie ans Gesicht. Noch immer roch sie den Lavendel, den sie damals dazugelegt hatte.
»Was ist sonst noch drin?« Louise kniete sich neben sie.
Miriam legte die kostbaren Briefe in den Schoß. Sie wusste nicht, ob sie den Mut hatte, sie noch einmal zu lesen, denn sie würden sie nur an all den Schmerz, die verlorenen Hoffnungen und die vernichtende Endgültigkeit des Lebenszyklus erinnern, an dem sie alle teilhatten. Sie wandte sich
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