Das Versteck
konnte er sie noch im Halbdunkel erkennen. Einige waren bewunderswert fleißig, andere lebten zwar, regten sich aber nicht, stellten sich tot. Er empfand geschwisterliche Gefühle für die Tiere. Seine kleinen Brüder.
Das Waffengeschäft glich einer Festung. Ein Schild an der Eingangstür signalisierte, daß der Laden alarmgesichert war und nachts von scharfen Hunden bewacht wurde. Vor den Fenstern waren mächtige Eisenstreben verankert. Die Ladentür mußte mindestens acht Zentimeter dick sein, aus Massivholz mit einem Stahlkern. Die drei soliden Türangeln erweckten den Eindruck, als seien sie für eine Tiefseetaucherkugel konstruiert worden, um Tausenden von Tonnen Druck unter Wasser standzuhalten. Viel Waffenzubehör lagerte offen in Regalen, doch die Gewehre, Flinten und Handfeuerwaffen lagen unter Verschluß oder standen, mit schweren Ketten gesichert, in offenen Waffenschränken. In allen vier Ecken des langgezogenen Verkaufsraums hingen Videokameras hinter kugelsicherem Glas.
Der Laden war beinahe so gut gesichert wie Fort Knox. Hatch fragte sich, ob er in Zeiten lebte, wo Waffen eine größere Anziehung auf Diebe ausübten als bares Geld.
Die vier Angestellten im Laden pflegten untereinander einen kameradschaftlichen Ton und gaben sich umgänglich mit den Kunden. Ihre Hemden fielen lose über den Hosenbund. Vielleicht aus Bequemlichkeit, vielleicht trug auch jeder von ihnen eine Schußwaffe im Holster unter dem Hemd.
Hatch kaufte eine 12kalibrige Mossberg: eine kurzläufige Schrotflinte mit Pistolengriff und halbautomatischem Nachladeschloß.
»Die einzig richtige Waffe für den Selbstschutz«, meinte der Verkäufer. »Wenn Sie die haben, brauchen Sie keine andere Waffe mehr.«
Hatch sagte sich, daß er schon dankbar sein mußte, in einem Zeitalter zu leben, wo die Regierung ihren Bürgern Zusagen machte, sie auch vor so geringfügigen Übeln wie Radon im Keller oder den durch die ultimative Ausrottung der einäugigen, blauschwänzigen Stechmücke entstandenen Umweltschäden zu schützen. In einem weniger zivilisierten Zeitalter – so um die Jahrhundertwende herum – hätte er zweifellos eine Ausrüstung erworben, die Hunderte von Schußwaffen, eine Tonne Dynamit und eine Panzerweste zum Schutz beim Türöffnen umfaßte.
Er fand, daß Ironie eine bittere Variante des Humors darstellte und nicht ganz seinem Geschmack entsprach. Zumindest nicht in seiner gegenwärtigen Stimmung.
Hatch füllte die üblichen Behördenformulare aus, bezahlte mit einer Kreditkarte und verließ den Laden mit der Mossberg, einem Waffenreinigungsset und mehreren Schachteln Munition. Die Ladentür fiel hinter ihm zu mit dem satten Ton einer Tresortür.
Er hatte seine Einkäufe im Kofferraum des Mitsubishi verstaut, sich hinter das Steuer gesetzt und wollte gerade den Motor anlassen – als seine Hand auf dem Griff der Gangschaltung erstarrte. Der kleine Parkplatz war nicht mehr da, das Waffengeschäft verschwunden.
Als ob ein böser Zauber über allem lag und den sonnigen Tag verschwinden ließ, fand Hatch sich in einem langen, schaurigen Tunnel wieder. Er warf einen Blick aus dem Seitenfenster, blickte nach hinten aus dem Rückfenster, aber die Illusion oder Halluzination – was immer es sein mochte – war perfekt und stimmte in jedem Detail, wie gerade eben noch der Parkplatz.
Als Hatch wieder nach vorn blickte, lag ein langer Abhang vor ihm, in dessen Mitte das Gleis einer Schmalspurbahn verlief. Und plötzlich rollte sein Wagen wie ein Zug, der bergauf fuhr.
Hatch trat das Bremspedal durch. Vergeblich.
Er schloß die Augen und zählte langsam bis zehn, spürte sein Herz pochen und versuchte, sich zu entspannen. Als er die Augen wieder öffnete, saß er immer noch in dem Tunnel.
Er stellte den Motor ab. Der Wagen bewegte sich weiter.
Die Stille, nachdem das Motorgeräusch vererbt war, währte nur kurz und wurde von einem anderen Geräusch abgelöst: rattatat, rattatatat.
Von links kam ein unmenschlicher Schrei. Aus dem Augenwinkel nahm Hatch eine bedrohliche Bewegung wahr. Er riß den Kopf herum und sah sich einer äußerst befremdlichen Gestalt gegenüber, einem mannshohen, bleichen und plumpen Ding. Es reckte sich drohend und schrie gellend, in seiner runden Mundöffnung rotierten Zähne wie die Messer in einer Müllvernichtungsanlage. Ein ähnliches Monstrum baute sich jetzt rechts vor ihm auf, und weiter vorn warteten noch mehr und dahinter noch andere Ungeheuer. Sie alle heulten, johlten, kreischten
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