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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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könnte er einen zweiten Versuch mit Lindsey wagen. Wenn er sie beide erst beisammen hatte und gleichzeitig an ihnen arbeiten konnte, würde er aus ihren Leichen eine pervertierte Version von Michelangelos Pietä kreieren oder sie zerstückeln und zu einer höchst obszönen Collage zusammensetzen.
    Um zu einer Entscheidung zu gelangen, brauchte er eine Eingebung, noch eine Vision.
    Während Vassago die Ausfahrt zum Ortega Highway nahm und nach Osten abbog, rief er sich wieder die Szene mit Lindsey ins Gedächtnis, wie sie in ihrem Atelier am Zeichenbrett saß. Wie seine Mutter, die an jenem Nachmittag mit Stricken beschäftigt war, als er sie umbrachte. Nachdem er seine Schwester und seine Mutter innerhalb einer Stunde mit demselben Messer getötet hatte, erwuchs tief in ihm die Gewißheit, daß sein Weg zur Hölle geebnet war. Aus dieser festen Überzeugung heraus hatte er auch noch den letzten Schritt getan und sich selbst gepfählt.
    Den Weg zur Verdammnis wies ihm ein kleines Büchlein, das im Selbstverlag erschienen war. Es hieß Der Mann im Versteck und stammte aus der Feder eines zum Tode Verurteilten namens Thomas Nicene, der seine Mutter und seinen Bruder umgebracht und dann Selbstmord begangen hatte. Sein sorgfältig geplanter Abgang in die Grube wurde allerdings von einem Notarztteam und deren Ehrgeiz, gepaart mit einem bißchen Glück, vereitelt. Nicene wurde reanimiert, geheilt, eingesperrt, vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Die nach ihren eigenen Vorschriften funktionierende Gesellschaft hatte ein Exempel statuiert, daß die Entscheidung über den Tod, auch das Recht, sich selbst zu entscheiden, niemals einem einzelnen obliegen durfte.
    Während er auf die Vollstreckung des Todesurteils wartete, brachte Thomas Nicene seine Visionen von der Hölle zu Papier, die ihm auf seiner Gratwanderung zwischen Leben und Tod widerfahren waren, ehe die Notärzte ihn der Ewigkeit entrissen. Seine Schriften wurden aus dem Gefängnis geschmuggelt und an gläubige Genossen weitergereicht, die sie druckten und in Umlauf brachten. Nicenes Buch quoll über von eindrucksvollen und glaubhaften Bildern der Finsternis und der Kälte, und nicht der Hitze klassischer Höllenvisionen. Er schilderte ein Reich von unermeßlicher Weite und frostiger Leere. Auf der Schwelle vom Tod zur Hölle hatte Thomas gigantische Kräfte an mysteriösen Konstruktionen werken sehen. Dämonen von kolossaler Größe und Stärke, in geheimer Mission unterwegs, ritten die Nachtnebel über dunkle Kontinente. Sie trugen weite, schwarze, wallende Umhänge und glänzende schwarze Helme mit aufgebogener Krempe. Thomas hatte dunkle Ozeane gesehen, die unter mond- und sternenlosem Firmament an schwarze Ufer schlugen und wie eine Unterwasserwelt erschienen. Gigantische Schiffe, fensterlos und gespenstisch, durchpflügten düstere Meere, von mächtigen Turbinen angetrieben, die wie der Schrei aus tausend Kehlen klangen.
    Nicenes Worte wirkten auf Jeremy glaubhafter als alles, was je gedruckt worden war. Und er beschloß, es dem großen Mann nachzutun. Marion und Stephanie gaben die Fahrkarten zu der exotischen und ungemein verlockenden Unterwelt ab, zu der er gehören wollte. Er hatte diese Fahrkarten mit seinem Fleischmesser gestempelt und sich diesem finsteren Reich ausgeliefert, um selbst das zu erleben, was Nicene in seinem Buch verhieß. Nie hätte er sich träumen lassen, daß seine Flucht aus dieser abscheulichen Welt der Lebenden vereitelt würde, und zwar nicht von den Notärzten, sondern von seinem eigenen Vater.
    Aber bald schon würde er den Zutritt zur Verdammnis wiedererlangen.
    Während er das Mädchen anblickte, durchlebte er noch einmal das Gefühl, wie sie unter seinem festen Griff zuckte und ohnmächtig wurde. Ein köstlicher Schauer der Vorfreude durchlief ihn.
    Zunächst hatte er erwogen, seinen Vater umzubringen, nur um zu sehen, ob er mit dieser Tat seine Einbürgerung in den Hades zurückgewann. Aber irgendwie hütete er sich vor seinem Alten. Jonas Nyebern war ein Lebensspender und schien von einem inneren Leuchten erfüllt, das Vassago anekelte. Er erinnerte sich noch aus frühester Kindheit an Bilder von Christus und Engeln und der Jungfrau Maria und Wundertaten, Szenen aus Jonas' Gemäldesammlung, die immer und überall ihr Heim schmückte. Und vor zwei Jahren erst hatte sein Vater ihn zum Leben erweckt wie Jesus den alten Lazarus. Folglich stellte Jonas für ihn nicht nur den Feind dar, sondern

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