Das Versteck
sich um, erblickte das Kruzifix an der Wand und ging ohne Zögern darauf zu. Stieg auf Reginas Bett und riß das Kreuz mit einem Ruck vom Nagel.
Während er vom Bett sprang, aus dem Zimmer und den Gang hinunter zur Treppe rannte, wurde ihm bewußt, daß er die Christusstatue mit eisernem Griff umklammerte. Er hielt sie nicht wie einen Gegenstand frommer Symbolik oder Verehrung, vielmehr wie eine Waffe, wie eine Kriegsaxt, ein Hackebeil.
An der Garage öffnete sich gerade automatisch das Garagentor. Lindsey saß bereits am Steuer.
Hatch setzte sich auf den Beifahrersitz. Lindsey sah das Kruzifix in seiner Hand fragend an. »Was soll das denn?«
»Wir werden es brauchen.«
Sie setzte den Wagen rückwärts aus der Garage und sagte: »Brauchen, wofür?«
»Ich weiß es nicht.«
Lindsey bog in die Straße ein und sah Hatch ungläubig an. »Ein Kruzifix?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht kann es uns helfen. Als ich mit dem Kerl in Verbindung stand, hat er … dankte er allen Mächten der Hölle, ja, genau so ging es ihm durch den Kopf, bedankte er sich bei allen Mächten der Hölle für Regina.« Hatch wies nach links. »Hier entlang.«
Angst und Furcht hatten Lindsey während der letzten zehn Minuten um Jahre altern lassen. Als sie herunterschaltete und nach links abbog, vertieften sich die sorgenvollen Linien in ihrem Gesicht. »Hatch, mit was haben wir es hier eigentlich zu tun? Mit einem dieser Teufelsanbeter, einem dieser verrückten Sektenanhänger, über die man in der Zeitung liest? Die abgeschlagene Köpfe im Kühlschrank aufbewahren und Gebeine unter der Veranda vergraben?«
»Schon möglich.« An der Kreuzung unterbrach sich Hatch: »Nach links hier. Ja, vielleicht so etwas ähnliches … aber viel schlimmer, fürchte ich.«
»Das schaffen wir nicht, Hatch.«
»Wir müssen es schaffen, zum Teufel!« schnappte Hatch zurück. »Wir haben keine Zeit, es anderen zu überlassen. Wenn wir es nicht tun, ist Regina verloren.«
Sie rollten auf eine Kreuzung mit dem Crown Valley Parkway zu, einem breiten vier- bis sechsspurigen Boulevard mit einem Grünstreifen und Bäumen in der Mitte. Selbst zu dieser späten Stunde herrschte noch Verkehr.
»Wohin jetzt?« wollte Lindsey wissen.
Hatch hatte die Pistole neben seine Füße gelegt, ließ das Kruzifix jedoch nicht los, hielt es mit beiden Händen umklammert. Er blickte nach links, nach rechts, links und wieder rechts, wartete auf eine Eingebung, ein Zeichen, irgend etwas. Das Scheinwerferlicht vorbeifahrender Wagen spülte über sie hinweg, brachte jedoch keine Offenbarung.
»Hatch?« fragte Lindsey besorgt.
Links und rechts, links und rechts. Nichts. Lieber Himmel.
Hatch konzentrierte seine Gedanken auf Regina. Kastanienbraunes Haar. Graue Augen. Die linke Hand verkrüppelt und zur Klaue verdreht. Eine Gabe Gottes. Nein, nicht von Gott. Diesmal nicht. Man konnte ihm schließlich nicht alles in die Schuhe schieben. Regina hatte vermutlich recht: ein Geschenk ihrer Eltern, das Vermächtnis von Drogenabhängigen.
Hinter ihnen hielt ein Wagen an und wollte ebenfalls in die Hauptstraße einbiegen.
Ihre Art zu gehen, um die Behinderung zu überspielen. Wie sie niemals ihre verkrüppelte Hand verbarg, sich ihrer weder schämte noch stolz auf sie war, sie einfach akzeptierte. Wollte Schriftstellerin werden. Intelligente Schweine aus dem All.
Der Fahrer in dem Wagen hinter ihnen hupte.
»Hatch?«
Regina, so klein, mit der ganzen Last der Welt auf den Schultern, doch immer aufrecht, ließ den Kopf nie hängen. Hatte ihr Abkommen mit Gott getroffen. Als Gegenleistung für etwas für sie Wertvolles wollte sie ohne Murren Bohnen essen. Hatch wußte, was für ein wertvolles Geschenk sie meinte, obwohl sie es nie gesagt hatte: eine Familie, eine Chance, dem Waisenhaus zu entkommen.
Der andere Fahrer drückte wieder auf die Hupe.
Lindsey bebte, fing an zu weinen.
Eine Chance. Nur eine winzige Chance. Mehr wollte das Mädchen nicht. Nie mehr allein sein. In einem Bett mit gemalten Blumen schlafen dürfen. Lieben dürfen, geliebt werden, erwachsen werden. Die kleine verdrehte Hand. Das feine, liebe Lächeln. Gute Nacht … Dad.
Jetzt hupte der Fahrer hinter ihnen ohne Unterbrechung.
»Rechts«, stieß Hatch hervor. »Fahr nach rechts.«
Mit einem Seufzer der Erleichterung bog Lindsey nach rechts in die Parkstraße ein. Sie fuhr schneller als gewöhnlich, wechselte die Fahrspuren, wenn der Verkehr es erlaubte, durchquerte die südliche Ebene in
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