Das Versteck
Armaturenbrett. Entgegenkommendes grelles Scheinwerferlicht, das ihn manchmal blinzeln ließ. Und plötzlich Regina. Regina im Widerschein der Instrumente auf exakt jenem Armaturenbrett. Die Augen geschlossen. Der Kopf auf die Brust gefallen. Ihr Mund mit irgendwas zugestopft und mit einem Tuch verbunden.
Sie macht die Augen auf.
Der Anblick von Reginas schreckerfüllten Augen ließ Hatch aus seinen Visionen aufschnellen wie ein Taucher, der nach Luft schnappt. »Sie lebt!«
Er schaute Lindsey an, die ihren Blick von der Straße abwandte, um ihn anzusehen. »Du hast nie das Gegenteil behauptet.«
Erst jetzt wurde ihm bewußt, wie gering er die Überlebenschancen für Regina eingeschätzt hatte.
Bevor Hatch Gelegenheit fand, Mut zu fassen angesichts der grauen Kinderaugen, die im gelben Instrumentenlicht des Wagens schimmerten, brachen neue Bilder über ihn herein, die ihn beutelten wie eine Serie echter Treffer.
Grotesk deformierte Wesen tauchten schemenhaft aus düsteren Schatten auf. Menschliche Gestalten in bizarrer Haltung. Er sah eine Frau, so ausgetrocknet und verschrumpelt wie Dörrobst, eine andere im ekelerregenden Stadium der Verwesung, ein mumifiziertes Gesicht unbestimmten Geschlechts, eine aufgedunsene grünlich-schwarze Hand, in demütiger Bitte erhoben. Die Sammlung. Seine Sammlung. Da war wieder Reginas Gesicht, die aufgerissenen Augen. Es gab so viele Möglichkeiten, Gottes Werk zu entstellen, zu verstümmeln und zu verhöhnen. Regina. Armes Baby. Hab keine Angst. Du brauchst keine Angst zu haben. Wir fahren bloß zu einem Vergnügungspark. Wie Disneyland, weißt du, oder wie Magic Mountain. Wie hübsch sie in meine Sammlung passen wird. Leichen als Objekt-Kunst, zusammengehalten von Drähten, Stricken und Holzstücken. Er sah erstarrte Schreie, für immer verstummt. Skelettierte Kiefer klafften in ewigem Flehen um Gnade. Die kostbare Sammlung. Regina, süße Regina, hübsches Baby, was für ein exquisites Stück.
Hatch erwachte aus seiner Trance und begann wild um sich zu schlagen, zerrte an seinem Sicherheitsgurt, der ihm wie eine Fessel aus Drähten, Tauen und Stricken erschien. Er zerrte an dem Gurt wie ein Opfer voreiliger Bestattung an seinem Leichentuch zerren mochte. Es wurde ihm bewußt, daß er laut schrie und nach Luft schnappte, als ob er am Ersticken sei, und sie unter großem Prusten gleich wieder ausstieß. Er hörte Lindsey seinen Namen rufen, begriff, daß er sie zu Tode erschreckte, und konnte doch nicht aufhören, um sich zu schlagen und zu schreien, bis er den Schnappverschluß gefunden hatte und der Sicherheitsgurt ihn endlich freigab.
Damit befand Hatch sich wieder im Mitsubishi, der Kontakt mit dem Verrückten war momentan unterbrochen, der Horror der Sammlung abgeschwächt, doch nicht vergessen, sondern in sein Gedächtnis eingebrannt. Als er sich Lindsey zuwandte, mußte er wieder daran denken, welche Tapferkeit sie in jener Nacht im eisigen Wasser des Bergflusses bewiesen und wie sie ihn gerettet hatte. Heute nacht würde sie ihre ganze Kraft und noch viel mehr brauchen.
»Fantasy World«, stieß er hervor. »Wo vor ein paar Jahren alles abgebrannt ist, da will er hin. Heiliger Jesus, Lindsey, gib Gas, tritt das Gaspedal durch, dieser Dreckskerl, dieser wahnsinnige Dreckskerl bringt sie runter zu den Toten!«
Und sie fuhr wie der Teufel. Sie flogen dahin. Obwohl Lindsey nicht verstand, was Hatch meinte, rasten sie plötzlich in atemberaubendem Tempo ostwärts. Sie schossen durch die letzten gebündelten Lichtpunkte aus der zivilisierten Welt hinaus in ein Reich der ewigen Finsternis.
Während Kari den Kühlschrank in der Küche nach Zutaten für einen Salat durchsuchte, ging Jonas in die Garage, um ein paar Steaks aus der Tiefkühltruhe zu holen. Die Nachtluft war kühl und erfrischend. Er blieb einen Moment in der Tür stehen und atmete tief durch.
Im Grunde genommen verspürte er überhaupt keinen Hunger, höchstens Appetit auf noch mehr Wein, doch er wollte nicht, daß Kari ihn betrunken sah. Am nächsten Tag stand zwar kein Operationstermin bevor, man konnte jedoch nie wissen, ob nicht ein Notfall das Reanimationsteam auf den Plan rufen würde, und er fühlte sich diesen prospektiven Patienten gegenüber verpflichtet.
In seinen dunkelsten Momenten hatte er schon erwogen, das Gebiet der Reanimationsmedizin zu verlassen und sich ganz der Kardiologie zu widmen. Zu erleben, wie ein reanimierter Patient gesund zu seiner Familie und in seinen Beruf
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