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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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zurückkehrte, empfand er wie eine göttliche Bescherung. Nur, im kritischen Augenblick, wenn der Anwärter vor ihm lag, wußte Jonas so gut wie nichts über ihn, was zur Folge haben konnte, daß der Patient womöglich das Böse auf die Welt zurückbrachte, nachdem sie sich gerade davon befreit hatte. Das bedeutete mehr für ihn als nur einen Gewissenskonflikt, es wog zentnerschwer auf seinem Gewissen. Als gläubiger Mensch, wenn auch mit gewissen Zweifeln, hatte er in diesem Punkt immer auf Gott vertraut. Sein Credo lautete: Gott hatte ihm seine Fähigkeiten verliehen, anderen zu helfen, und er durfte sich nicht anmaßen, Gottes Absichten zu durchkreuzen und seine Dienste zu versagen.
    Jeremy stellte natürlich einen neuen unberechenbaren Faktor in der Gleichung dar. Wenn er Jeremy ins Leben zurückgeholt und Jeremy unschuldige Leute umgebracht hatte … Ein unerträglicher Gedanke.
    Die kühle Nachtluft schien keine Erfrischung mehr zu bieten. Sie kroch ihm jetzt bis in die Knochen.
    Also gut, Abendessen. Zwei Steaks. Filet mignon. Kurz gegrillt mit ein wenig Worcestershire-Sauce. Kein Dressing am Salat, nur eine Prise Pfeffer und ein Spritzer Zitrone. Es kam selten genug vor, daß er Fleisch aß. Schließlich war er Herzchirurg und kannte die grausamen Folgen zu kalorienreicher Ernährung aus erster Hand.
    Er ging zu der Tiefkühltruhe in der Ecke. Er löste die Verriegelung und drückte den Deckel auf.
    Vor ihm lag Morton Redlow, vormals Redlow Detective Agency, bleich und grau, wie eine Figur aus Marmor, und noch nicht von Eiskristallen überzogen. Ein Blutfleck auf seinem Gesicht hatte sich in eine rote Eiskruste verwandelt, und wo einst die Nase saß, klaffte ein scheußliches Loch. Redlows Augen standen offen. Für immer.
    Jonas zuckte nicht zurück. Als Chirurg war er mit den Schrecken wie mit den Wundern des Lebens vertraut und ekelte sich nicht so leicht. Vielmehr erlosch etwas in ihm, als er Redlow sah. Etwas in ihm starb. Sein Herz wurde so kalt wie das jenes Mannes. Auf erschreckende und elementare Weise wurde ihm bewußt, daß er als Mensch erledigt war. Er konnte nicht mehr auf Gott vertrauen. Niemals mehr. Auf welchen Gott? Aber er empfand keinerlei Abscheu oder Übelkeit.
    Sein Blick fiel auf den zusammengefalteten Zettel in Redlows starrer rechter Hand. Der Tote ließ sich das Papier leicht entwenden, weil die Finger im Kälteschock geschrumpft waren.
    Wie betäubt griff Jonas nach dem Zettel und entfaltete ihn. Er erkannte die saubere Handschrift seines Sohnes auf Anhieb. Seine Post-Koma-Aphasie war nur vorgetäuscht gewesen und seine Debilität ein immens schlauer Schachzug.
    Auf dem Zettel stand: Lieber Vater, für ein anständiges Begräbnis brauchen sie auch seine Nase. Schau in seinem Hintern nach. Er hat sie in meine Angelegenheiten gesteckt, und ich ihm in seine. Wenn er bessere Manieren gehabt hätte, wäre er von mir entsprechend behandelt worden. Tut mir leid, Sir, wenn mein Betragen Ihnen mißfallt.
    *
    Lindsey fuhr mit äußerster Geschwindigkeit, holte das Letzte aus dem Mitsubishi heraus und mußte feststellen, daß die Risse in der Fahrbahndecke bei ihrem Tempo nicht gerade förderlich waren. Je weiter sie nach Osten fuhren, desto weniger Verkehr herrschte auf dem Highway, und das erwies sich als Vorteil, wenn sie eine zu enge Kurve in der Fahrbahnmitte nahm.
    Nachdem Hatch seinen Sicherheitsgurt wieder angelegt hatte, rief er über Autotelefon die Auskunft an und ließ sich die Telefonnummer von Nyeberns Praxis geben. Dann wählte er die verlangte Nummer an und wurde sofort mit dem Auftragsdienst des Arztes verbunden. Die Frau am Telefon notierte die Nachricht, die ihr jedoch ganz offenbar rätselhaft schien. Obwohl sie Hatch versicherte, seine Nachricht weiterzuleiten, war er nicht besonders überzeugt, daß seine Vorstellungen von »dringend« sich mit den ihren deckten.
    Jetzt erkannte er die Zusammenhänge mit aller Schärfe, und alles ergab einen Sinn, der ihm vorher verborgen geblieben war. Jonas' Frage am Montag in seiner Praxis gewann eine andere Bedeutung: Glaubte Hatch, hatte er gefragt, daß das Böse nur die Folge menschlichen Handelns war, oder meinte er, daß das Böse eine reale Kraft darstellte, eine Präsenz, die sich frei auf der Welt bewegte? Jonas' Geschichte von seiner Frau und Tochter, die er durch einen mörderischen, wahnsinnigen Sohn verloren hatte, und den Sohn durch Selbstmord, stellte nun die Verbindung zu der Frau mit dem Strickzeug her. Die

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