Das Versteck
Geistliche in Wirklichkeit ihn und Lindsey, die neben ihm auf dem Louis-seize-Sofa saß, heimlich beobachten.
Es waren auch zwei Nonnen zugegen, die auf Hatch einen noch bedrohlicheren Eindruck machten als die Priester. Sie gehörten einem Orden an, der noch dem voluminösen altmodischen Habit anhing, den man heutzutage nur noch selten sieht. Sie trugen gestärkte Hauben mit Brusttüchern, und diese Umrahmung aus weißem Leinen ließ ihre Gesichter besonders streng erscheinen. Schwester Immaculata, die Leiterin des Waisenhauses St. Thomas, saß wie ein großer schwarzer Raubvogel auf dem Lehnstuhl rechts vom Sofa, und Hatch wäre gar nicht erstaunt gewesen, wenn sie plötzlich einen krächzenden Schrei ausgestoßen hätte, mit wehender Kleidung aufgeflattert und durch den Raum geflogen wäre, um am Ende im Sturzflug auf ihn herabzuschießen und ihm die Nase abzuhacken. Ihre Mitschwester war eine etwas jüngere, nervös wirkende Nonne, die unablässig im Zimmer auf und ab lief und deren Blick durchdringender war als Laserstrahlen. Hatch hatte ihren Namen vergessen und sie deshalb »Die Nonne ohne Namen« getauft, weil sie ihn an Clint Eastwood erinnerte, der in alten Italowestern immer den schweigsamen Fremden ohne Namen gespielt hatte.
Hatch wußte, daß er unfair war, sogar mehr als unfair, daß er aus Nervosität völlig irrational reagierte. Alle hier in dieser Kanzlei wollten Lindsey und ihm nur helfen. Pater Jiminez, der Pfarrer der Kirche St. Thomas, dessen Gemeinde einen beträchtlichen Teil des Jahresbudgets für das von Schwester Immaculata geleitete Waisenhaus aufbrachte, war in Wirklichkeit kein bißchen bedrohlicher als der Priester in Die Glocken von St. Marien, ein lateinamerikanischer Bing Crosby, und Pater Duran wirkte sanftmütig und schüchtern. Schwester Immaculata hatte in Wirklichkeit mit einem Raubvogel nicht mehr Ähnlichkeit als mit einer Stripteasetänzerin, und die Nonne ohne Namen hatte ein warmes Lächeln, das ihren strengen Blick mehr als wettmachte, selbst wenn man diesen negativ auslegen wollte. Die Priester und Nonnen versuchten, Konversation zu machen, und es waren im Grunde er und Lindsey, die vor Nervosität nicht so ungezwungen sein konnten, wie es angebracht gewesen wäre.
Es stand soviel auf dem Spiel. Das war es, was Hatch nervös machte, obwohl ihm das eigentlich gar nicht ähnlich sah, weil er normalerweise sehr ausgeglichen war und mitunter fast abgeklärt wirkte. Er wollte, daß dieses Treffen erfolgreich verlief, weil Lindseys und sein Glück, ihre Zukunft, der Erfolg ihres neuen Lebens davon abhingen.
Nein, das stimmte nun auch wieder nicht. Er übertrieb schon wieder.
Aber er konnte es nicht ändern.
Seit er vor mehr als sieben Wochen wiederbelebt worden war, hatten Lindsey und er gemeinsam einen emotionalen Gezeitenwechsel vollzogen. Die lange erstickende Flut von Verzweiflung, die sie nach Jimmys Tod überrollt hatte, war plötzlich verebbt. Beiden war klar, daß sie nur dank eines medizinischen Wunders noch beisammen waren. Für diesen Aufschub nicht dankbar zu sein, die ihnen geschenkte Gnadenfrist nicht voll zu genießen, wäre in höchstem Maße undankbar gewesen, sowohl Gott als auch den Ärzten gegenüber. Mehr als das – es wäre dumm. Natürlich war es ihr gutes Recht gewesen, um Jimmy zu trauern, aber irgendwann hatten sie es dann zugelassen, daß der Schmerz in Selbstmitleid und chronische Depression ausartete, und das war falsch gewesen.
Hatchs Tod und Reanimation und Lindseys Todesnähe waren nötig gewesen, um sie beide ihrer beklagenswerten Schwermut zu entreißen, was ihm zeigte, daß sie doch verbohrter waren, als er geglaubt hatte. Wichtig war indessen aber nur, daß sie aufgerüttelt worden waren und beschlossen hatten, endlich wieder richtig zu leben.
Zu einem richtigen Leben gehörte für sie beide auch, wieder ein Kind im Hause zu haben. Der Wunsch nach einem Kind war kein sentimentaler Versuch, die frühere Stimmung wiederherzustellen, und es war auch nicht das neurotische Bedürfnis, Jimmy zu ersetzen, um endgültig über seinen Tod hinwegzukommen. Sie konnten einfach gut mit Kindern umgehen; sie liebten Kinder, und es war außerordentlich befriedigend, etwas von sich an ein Kind weitergeben zu können.
Sie mußten eines adoptieren. Das war das Problem. Während Lindseys Schwangerschaft hatte es viele Komplikationen gegeben, und die Entbindung war ungemein langwierig und schmerzhaft gewesen. Mutter und Kind hatten in Lebensgefahr
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