Das Versteck
zu einem regelrechten Blutrausch, für ihn ein anregendes Schauspiel.
»Wohin fahren wir?« fragte er auf der Autobahn. Die Scheinwerfer bohrten sich in einen weißen Nebel, der die Welt verschluckte und den Eindruck erweckte, als könnten sie jede Landschaft und Zukunft erfinden, die sie sich wünschten. Was immer sie sich vorstellten, würde aus dem Nebel entstehen.
»Nach El Toro«, antwortete sie.
»Wohnt er dort?«
»Ja.«
»Wer ist der Mann?«
»Brauchst du einen Namen?«
»Nein, Madam. Warum wünschen Sie ihm den Tod?«
Sie betrachtete ihn eine Zeitlang. Allmählich breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus, so als würde jemand ihr mit einem unsichtbaren Messer langsam eine Wunde schneiden. Ihre kleinen weißen Zähne waren spitz. Piranha-Zähne. »Du wirst es wirklich tun, oder?« fragte sie. »Du wirst einfach reingehen und den Kerl umbringen, um mir zu beweisen, wie begehrenswert du bist.«
»Ich will nichts beweisen«, erwiderte er. »Ich werde ihn umbringen, weil es Spaß machen könnte. Wie schon gesagt …«
»Zuerst zusammen ein bißchen töten, dann erst der Sex«, ergänzte sie.
Nur damit sie weiterredete und sich entspannte, erkundigte er sich: »Hat er eine Wohnung oder ein eigenes Haus?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»In ein Haus zu gelangen ist wesentlich einfacher, und die Nachbarn sind nicht so nah dran.«
»Es ist ein Haus.«
»Warum wünschen Sie ihm den Tod?«
»Er wollte mich haben, ich wollte ihn nicht, und er glaubte, sich trotzdem nehmen zu können, was er wollte.«
»Kann nicht einfach gewesen sein, gegen Ihren Willen etwas von Ihnen zu bekommen.«
Ihre Augen wurden kälter denn je. »Das Dreckschwein mußte im Gesicht genäht werden, als alles vorbei war.«
»Aber er hat trotzdem bekommen, was er wollte?«
»Er war viel größer und stärker als ich.«
Sie wandte sich von ihm ab und starrte auf die Straße hin aus.
Im Westen war eine starke Brise aufgekommen, und der Nebel wirbelte nicht mehr träge durch die Nacht. Er wurde über die Autobahn gepeitscht wie die Rauchwolken bei einem Großbrand, so als stünde die gesamte Küste in Flammen, als würden ganze Städte in Schutt und Asche gelegt und als schwelten die Ruinen.
Vassago betrachtete immer wieder Lisas Profil. Er wünschte, er könnte mit ihr nach El Toro fahren und sehen, wie blutrünstig ihre Rachegelüste waren. Anschließend würde er sie gern überreden, ihm in sein Versteck zu folgen und sich aus eigenem freien Willen für seine Sammlung zur Verfügung zu stellen. Ob sie es wußte oder nicht – sie wünschte sich den Tod. Sie würde für den süßen Schmerz dankbar sein, der ihre Fahrkarte zur Verdammnis sein würde. Mit ihrer hellen Haut, die einen reizvollen Kontrast zu ihrer schwarzen Kleidung bildete und zu leuchten schien, mit ihrem immensen Haß, der ihr aus allen Poren drang und sie wie eine dunkle Aura umstrahlte, wäre sie ein unvergleichlicher Anblick, wenn sie zwischen Vassagos Kollektion ihrem Schicksal entgegenginge und bereitwillig den Todesstoß empfinge, als Opfer für seine Rückkehr in die Hölle.
Er wußte jedoch, daß sie seinen Wunschtraum nicht erfüllen, daß sie nicht freiwillig für ihn sterben würde, selbst wenn sie unbewußt den Tod herbeisehnte. Auch wenn sie schließlich erkennen sollte, daß das ihr größtes Verlangen war, würde sie ausschließlich für sich selbst sterben, aus rein egoistischen Motiven.
Sobald sie begreifen würde, was er in Wirklichkeit von ihr wollte, würde sie um sich schlagen und sich wütend verteidigen. Sie würde nicht so leicht zu überwältigen sein wie Neon – und mehr Schaden anrichten. Am liebsten brachte er jeden Neuerwerb in sein Museum der Toten, solange das zukünftige Exponat noch am Leben war, um es genüßlich unter den grausamen Augen von Luzifer zu töten. Aber er wußte, daß er sich diesen Luxus mit Lisa nicht leisten konnte. Sie wäre nicht leicht zu bezwingen, nicht einmal, wenn er völlig unerwartet zuschlug. Und wenn er einmal den Vorteil des Überraschungseffekts eingebüßt hatte, würde sie eine gefährliche, eine ebenbürtige Gegnerin sein.
Er fürchtete nicht, verletzt zu werden. Nichts konnte ihn schrecken, auch nicht die Aussicht auf physische Schmerzen. Im Gegenteil, jeder Schlag von ihr, jede Kratz- oder Bißwunde wäre ein köstlicher Nervenkitzel, ein ungetrübter Genuß.
Das Problem war nur, daß sie stark genug sein könnte, um ihm zu entkommen, und eine Flucht konnte er nicht riskieren.
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