Das Versteck
noch funktionsfähig.
Obwohl die Sichtweite nur etwa dreißig Meter betrug, beschleunigte er den Pontiac auf hundertzwanzig Stundenkilometer und raste blindlings in den wogenden Nebel hinein. An der übernächsten Ausfahrt verließ er die Autobahn und verlangsamte das Tempo. Er wollte diese Gegend so schnell wie möglich verlassen, hielt sich auf den Landstraßen aber genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, weil jedem Bullen, der ihn anhalten könnte, mit Sicherheit sofort das Blut auf dem Polster und auf der Scheibe der Beifahrertür auffallen würde.
Hatch sah im Rückspiegel, wie die Leiche über das Pflaster rollte und im Nebel verschwand. Sekundenlang sah er auch sein eigenes Spiegelbild vom Nasenrücken bis zu den Augenbrauen. Er trug eine Sonnenbrille, obwohl er nachts am Steuer saß. Nein! Er trug sie nicht. Der Fahrer des Wagens trug diese Sonnenbrille, und das Bild im Spiegel zeigte nicht sein eigenes Gesicht. Obwohl er der Fahrer zu sein schien, begriff er, daß dieser Schein trog, denn obwohl er die Augen hinter den dunkel getönten Gläsern nur verschwommen sehen konnte, hatten sie keinerlei Ähnlichkeit mit seinen eigenen Augen, waren irgendwie seltsam, andersartig. Dann stand er wieder vor der Spüle, keuchend und würgend vor Ekel. Hinter dem Fenster lag nur der Hof, in Dunkelheit und Nebel gehüllt.
»Hatch?«
Erschrocken drehte er sich um.
Lindsey stand im Bademantel auf der Schwelle. »Fehlt dir etwas?«
Er wischte sich die eingeseiften Hände am Sweatshirt ab und versuchte zu sprechen, doch der Schrecken hatte ihm die Sprache vorschlagen.
Sie eilte auf ihn zu. »Hatch?«
Er drückte sie an sich und war glücklich über ihre Umarmung, die ihm schließlich die Kraft gab, mühsam zu stammeln: »Ich habe sie erschossen, sie wurde aus dem Wagen geschleudert, o Gott, Allmächtiger, sie ist wie eine Stoffpuppe über die Straße gerollt!«
7
Auf Hatchs Bitte hin brühte Lindsey Kaffee auf. Das vertraute köstliche Aroma war ein wirksames Mittel gegen die unheimlichen Geschehnisse. Mehr als alles andere stellte dieser Duft eine Atmosphäre von Normalität her, die Hatchs Nerven beruhigte. Sie tranken den Kaffee am Frühstückstisch in einer Ecke der Küche.
Hatch bestand darauf, die Jalousie am nahen Fenster zu schließen. »Ich habe das Gefühl … dort draußen ist etwas … und ich will nicht, daß es uns sieht.« Er konnte nicht erklären, was er mit »etwas« meinte.
Nachdem Hatch alles erzählt hatte, was geschehen war, seit er aus dem Alptraum von der eiskalten Blondine, dem Schnappmesser und dem verstümmelten Auge erwacht war, fand Lindsey für das ganze Geschehen nur eine einzige Erklärung: »Du warst offenbar nicht richtig wach, als du dein Bett verlassen hast, auch wenn es dir so vorkam. Du bist im Schlaf gewandelt. Du bist erst ganz aufgewacht, als ich in die Küche gekommen und deinen Namen gerufen habe.«
»Ich bin nie ein Schlafwandler gewesen«, widersprach er.
Sie versuchte seinen Einwand scherzhaft abzutun. »Es ist nie zu spät, sich ein neues Laster zuzulegen.«
»Ich glaube das nicht.«
»Und welche Erklärung hast du dann?«
»Überhaupt keine.«
»Also bleibt es beim Schlafwandeln.«
Er starrte in die weiße Porzellantasse, die er mit beiden Händen umklammerte wie ein Zigeuner, der aus den Lichtmustern an der Oberfläche der schwarzen Flüssigkeit die Zukunft ablesen will. »Hast du jemals geträumt, jemand anderer zu sein?«
»Ich denke schon.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Das ist keine Antwort. Hast du jemals einen Traum mit den Augen eines Unbekannten gesehen? Einen Traum, den du mir erzählen könntest?«
»Nun ja … nein. Aber ich bin sicher, daß es so etwas gegeben haben muß. Ich erinnere mich einfach nicht daran. Träume sind schließlich Schäume. Sie verfliegen so schnell. Wer erinnert sich schon lange an sie?«
»An diesen Traum werde ich mich für den Rest meines Lebens erinnern«, sagte er.
Obwohl sie ins Bett zurückkehrten, konnten sie nicht wieder einschlafen. Teilweise lag das vielleicht am Kaffee. Lindsey dachte, daß Hatch gerade deshalb Kaffee gewollt hatte: Er hatte ihn am Einschlafen hindern sollen, damit der Alptraum nicht zurückkommen konnte. Nun, das hatte jedenfalls geklappt.
Beide lagen auf dem Rücken und starrten an die Decke.
Er hatte die Nachttischlampe eher widerwillig ausgeschaltet, obwohl er sich nur durch ein kurzes Zögern verraten hatte, bevor er auf den Schalter drückte. Er glich fast einem
Weitere Kostenlose Bücher