Das Versteck
Testergebnisse vorliegen. Ich bin sicher, daß mit mir alles in Ordnung ist.«
»Du nimmst diese Sache viel zu leicht.«
»Streß bringt einen um.«
»Wenn Nyebern nun etwas Ernstes findet …«
»Dann werden wir das Waisenhaus um einen Aufschub bitten. Wenn wir ihnen jetzt erzählen, daß ich Probleme habe, die mir nicht erlauben, gleich morgen den ganzen Papierkram zu erledigen, kommen ihnen vielleicht Bedenken hinsichtlich unserer Tauglichkeit. Sie könnten uns ablehnen, und dann hätten wir wahrscheinlich keine Chance mehr, Regina zu adoptieren.«
Der Tag war so herrlich gewesen, von dem Kontaktgespräch in Salvatore Gujilios Kanzlei bis hin zu ihren Liebesspielen vor dem Kamin und in dem massiven alten chinesischen Bett. Die Zukunft hatte so rosig ausgesehen, und sie hatten geglaubt, das Schlimmste läge bereits hinter ihnen. Lindsey konnte kaum glauben, daß sich plötzlich ein neuer gähnender Abgrund vor ihnen aufgetan hatte.
Sie sagte: »O Gott, Hatch, ich liebe dich!«
Er rückte im Dunkeln dicht an sie heran und nahm sie in seine Arme. Die Morgendämmerung brach an, und noch immer hielten sie einander eng umschlungen, ohne zu sprechen, weil für den Augenblick alles gesagt war.
Später, nachdem sie geduscht und sich angezogen hatten, gingen sie hinunter und tranken wieder Kaffee am Frühstückstisch. Sie hörten morgens immer Radio, einen Sender, der die neuesten Nachrichten brachte.
Auf diese Weise erfuhren sie vom Tod einer jungen blonden Frau namens Lisa Blaine. Sie war in der vergangenen Nacht durch zwei Schüsse ermordet und auf dem San Diego Freeway aus einem fahrenden Auto geworfen worden – genau zu dem Zeitpunkt, als Hatch in der Küche stand und die Vision hatte, daß er auf den Abzug drückte und die Leiche hinter dem Auto über die Straße rollte.
8
Aus Gründen, die er selber nicht verstehen konnte, wollte Hatch unbedingt jenen Autobahnabschnitt sehen, wo die tote Frau gefunden worden war. »Vielleicht rastet irgendwas ein«, war seine einzige Erklärung.
Er saß am Steuer des neuen roten Mitsubishi. Sie fuhren auf dem Küsten-Highway nach Norden, dann auf Landstraßen ostwärts zur South Coast Plaza Shopping Mall, wo es eine Auffahrt zum San Diego Freeway in südlicher Richtung gab. Hatch bestand darauf, den nächtlichen Weg des Mörders bis zum Tatort möglichst genau nachzuvollziehen.
Um Viertel nach neun war die Rush-hour eigentlich schon vorbei, aber alle Fahrspuren waren noch verstopft. Die Wagenkolonne bewegte sich nur im Schrittempo südwärts. Zum Glück bewahrte die eingebaute Klimaanlage Hatch und Lindsey vor den Abgaswolken.
Der dichte Nebel, der sich nachts vom Pazifik über die Küste ausgebreitet hatte, war spurlos verschwunden. Die Bäume wiegten sich in einer leichten Frühlingsbrise, und Vögel zogen fröhlich ihre Kreise am wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. An einem Tag wie diesem schien es fast absurd, an den Tod zu denken.
Sie passierten die Ausfahrt MacArthur, dann Jamboree, und Hatch spürte, wie seine Nacken- und Schultermuskulatur sich mit jedem Meter, den sie vorwärts kamen, mehr und mehr verspannte. Er hatte das unheimliche Gefühl, diese Strecke in der letzten Nacht tatsächlich zurückgelegt zu haben, als Flughafen, Hotels, Bürogebäude und die braunen Hügel im Hintergrund vom Nebel verschluckt worden waren, obwohl er genau wußte, daß er in Wirklichkeit zu Hause gewesen war.
»Sie wollten nach El Toro«, sagte er. An diese Einzelheit hatte er sich bisher nicht erinnert. Oder sie war ihm erst jetzt durch eine Art sechsten Sinn offenbart worden.
»Vielleicht hat sie dort gewohnt … oder er lebt dort.«
Hatch runzelte die Stirn. »Das glaube ich nicht.«
Während sie entnervend langsam dahinkrochen, fielen ihm nicht nur verschiedene Details des Traums ein, sondern er fühlte die spannungsgeladene Atmosphäre in jenem Wagen, die potentielle Gewalttätigkeit.
Seine Hände rutschten vom Lenkrad. Sie waren mit kaltem Schweiß überzogen. Er wischte sie an seinem Hemd ab.
»Ich glaube«, sagte er, »in gewisser Hinsicht war die Blondine fast genauso gefährlich wie ich … wie er …«
»Was meinst du damit?«
»Ich weiß es nicht. Es ist einfach das Gefühl, das ich zu jenem Zeitpunkt hatte.«
Die Sonne funkelte auf den Fahrzeugen, die sich in zwei mächtigen Kolonnen aus Stahl, Chrom und Glas nach Norden und Süden wälzten. Die Außentemperatur betrug etwa sechsundzwanzig Grad. Hatch fror trotzdem.
Als ein Schild die nächste Ausfahrt
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