Das versteckte Experiment (German Edition)
möglichst rationell einzusetzen“, wie er es nannte, und nur das zu lernen, was ihm als notwendig erschien. Eine weitere Ehrenrunde war nicht drin. Deshalb hatte er eine fast geniale Mogelmethode entwickelt, die er gerne bei Klausuren einsetzte. Mit einem Brailledrucker druckte er die wichtigsten Informationen in Blindenschrift auf weißes Papier. Das Papier durfte nicht zu dick und nicht zu dünn sein. War es zu dünn, so war die Schrift kaum lesbar, war es zu dick, so konnten nichtautorisierte Personen sie eventuell entdecken, zumindest, wenn es offen auf dem Schultisch lag. Den Drucker hatte er bei einer Auktion ersteigert. Er konnte ganz normal als Standarddrucker an seinem PC verwendet werden. Der schwierigere Teil des Tricks war aber das Lesen des Textes. Mit etwas Übung konnte Ulli den Text bereits nach kurzer Zeit mit den Augen entziffern. Aber diese Methode war nicht perfekt. Schließlich musste das Blatt dafür gut sichtbar auf seinem Tisch liegen. Es hatte ihn etliche weitere Stunden gekostet, bis er in der Lage war, die Schrift durch Abtasten mit dem rechten Zeigefinger zu entziffern. Jetzt konnte er das weiße Blatt entweder unter dem Tisch platzieren oder ganz einfach unter einem Buch oder seinem Schreibblock. Für auffällige Blicke auf einen Spickzettel waren die Lehrer geschult, seine Tastbewegungen mit dem Zeigefinger hatte noch keiner entdeckt.
Ulli legte sich manchmal ganz gerne mit den Lehrern an. Mit seiner Frage hoffte er, Petersen in Verlegenheit bringen zu können.
„Vieles kann man tatsächlich durch einfache Beobachtungen von der Erde aus untersuchen. Wie ihr vielleicht noch aus dem Unterricht wisst, senden die Atome der verschiedenen Elemente ganz charakteristische Strahlung aus. Wird zum Beispiel ein Heliumatom angeregt, so strahlt es Wellen mit einer anderen Wellenlänge aus als ein Wasserstoffatom. Aus der auf der Erde empfangenen Strahlung kann man somit auf die Elemente schließen, die im Stern vorhanden sind. Aus der sogenannten Rotverschiebung, die wir schon einmal durchgenommen haben und an die ihr euch vielleicht noch erinnert, kann man ziemlich genau ableiten, mit welcher Geschwindigkeit sich die einzelnen Sterne relativ zur Erde bewegen. Je schneller sich der Stern von uns entfernt, desto weiter ist das Spektrum zu tieferen Frequenzen verschoben. Die Wellen werden sozusagen gedehnt. Ihr kennt das auch aus der Akustik, dort nennt man den analogen Vorgang den Dopplereffekt, der z. B. gut zu hören ist, wenn ein Auto vorbeifährt. Sobald das Auto vorbei ist, sinkt die Tonhöhe des Fahrgeräusches deutlich ab. Ihr seht, man muss nicht unbedingt zu den Sternen reisen, um etwas über sie zu erfahren.
Aber ich will euch noch eine nette Geschichte erzählen, die zeigt, wie man durch einfache Experimente und Überlegungen zu revolutionären Erkenntnissen kommt. Im 3. Jahrhundert v. Chr. lebte in der ägyptischen Stadt Alexandria ein Mann namens Eratosthenes. Er leitete die berühmte Bibliothek in Alexandria. Dort fand er eines Tages eine Papyrusrolle, auf der beschrieben wurde, dass am Tag der Sommersonnenwende, also am 21. Juni, in der Stadt Syene senkrecht in den Boden gesteckte Stäbe um 12 Uhr mittags keinen Schatten warfen und das Spiegelbild der senkrecht über der Stadt stehenden Sonne am Grunde eines tiefen Brunnens zu sehen war. Eratosthenes kam nun auf die Idee, ein Experiment am gleichen Tag des Jahres in Alexandria durchzuführen. Er stellte fest, dass seine Stäbe in Alexandria durchaus einen Schatten warfen. Wie konnte das sein? Wenn die Erde flach war, so würden die Sonnenstrahlen an beiden Orten unter dem gleichen Winkel einfallen und so entweder an beiden Orten keinen oder einen Schatten gleicher Länge erzeugen. Es gab für dieses Phänomen nur eine Erklärung: Die Erdoberfläche musste gekrümmt sein. Eratosthenes überlegte weiter, dass die Krümmung um so größer sein musste, je größer der Unterschied in der Schattenlänge war. Aus dieser Differenz konnte er den Winkel ableiten, den die Stäbe zueinander bildeten. Er betrug sieben Grad. Nun schickte Eratosthenes einen Mann los, der die Entfernung zwischen den beiden Städten abschritt. Die Entfernung betrug 800 km. Mit diesen Daten konnte er nun tatsächlich ziemlich genau den Erdumfang bestimmen. Sieben Grad war etwa ein Fünfzigstel des Kugelumfangs von 360 Grad. 800 km mal 50 ergaben 40 000 km, und das ist tatsächlich genau der Erdumfang. Er hatte damit nicht nur bewiesen, dass die Erde eine Kugel ist,
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