Das vertauschte Gesicht
Sjöland. »27. Kapitel, Paragraph 3. Interessant.«
»Besonders, wenn er noch nie benutzt wurde«, sagte Winter.
»Wer ist in diesem Fall Staatsanwalt?«
»Molina. Kennst du ihn?«
»Nur dem Namen nach.«
Winter hatte beschlossen, die Staatsanwaltschaft direkt zu unterrichten, gleich nachdem die ersten Morde entdeckt worden waren. Staatsanwalt Peter Molina hatte die Ermittlungen kontinuierlich verfolgt.
»Das ist eine heikle Angelegenheit. Anderer Leute Briefe zu öffnen«, sagte Sjöland.
»Wenn du den Paragraphen studierst, siehst du, dass der Untersuchungsleiter bei einem Verbrechen wie diesem Spielraum hat, Entscheidungen zu fällen.«
»Ja, so kann man es auch auslegen.«
»Aber ich hab einen Staatsanwaltbeschluss angefordert. Und bekommen. Positiv.« Endlich positiv, dachte Winter. Er war Molina Dank schuldig.
»Okay. Dann geb ich mich geschlagen.«
»Ich möchte die Briefe am liebsten noch heute Abend haben. Und das Anzeigenformular kannst du faxen.«
»Das kriegen wir hin.« Sjöland machte wieder eine Pause. »Hast du schon daran gedacht, dass die Briefberge bei Martells gelandet wären, wenn du nicht so verdammt schnell gewesen wärst? Sie haben ihre eigene Adresse angegeben, nicht irgendeine zwielichtige Chiffre. Das Mädchen bei der Zeitschrift sagte, sie hätten die Briefe vermutlich in einer Woche oder so abgeschickt. Stell dir vor, das wäre interessant gewesen. Plötzlich plumpst eine mögliche Lösung durch den Briefeinwurfschlitz.«
»Ich bin nicht schnell gewesen«, sagte Winter.
Er rief Ake Killdens Nummer in Fuengirola an. Niemand meldete sich. Als er auflegte, änderte sich das Bild in seinem Kopf. Von den weiß gekalkten kleinen Häusern an dem verbrannten Hang zu gläsernen Stahlkonstruktionen, Monster, die sich wie in Manhattan in die Wolken reckten.
Aber vielleicht lagen sie hier total falsch. Nein. Das war kein Zufall, dass es einen Laden gab, der einmal Manhattan Livs geheißen hatte, und dass es ihn immer noch gab: hundertfünfzig Meter von dem Siebenstockwerkhaus entfernt, wo Martells gewohnt haben. Kein Wolkenkratzer, aber das höchste Haus in weitem Umkreis. Eine halbe Meile oder mehr vom Gothiaskrapan in der Stadt entfernt. Mölndals Manhattan: Die HSB-Häuser mit ihren hübschen Eingängen.
Hier gab es einen Schlüssel. Aber wo lag er? Das Telefon klingelte.
»Ich hab Matilda Josefsson in der Leitung«, sagte Möllerström. »Die frühere Kassiererin von Krokens Livs.«
Winter wartete, dass das Gespräch durchgestellt wurde. Ihre Stimme ertönte.
»Ja, hallo?«
»Hier ist Kommissar Erik Winter.«
»Ja... ich hab eine Nachricht vorgefunden, dass ich mich melden soll.«
»Gut. Ich möchte mich gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Ich bin gerade nach Hause gekommen... passt es morgen?«
»Nein, lieber gleich, ich kann zu Ihnen kommen, wenn Sie wollen.«
»Ich weiß nicht... «
»Ich werde meinen Ausweis gut sichtbar tragen«, sagte Winter.
Er hörte ein Kichern. »Um was geht es?«, fragte sie.
»Wir ermitteln in einigen schweren Verbrechen und wollten Sie über die Zeit befragen, als Sie in einem Laden in Mölndal gearbeitet haben.«
»Krokens Livs? Was ist mit der alten Scheißbude passiert?«
»Kann ich in einer halben Stunde bei Ihnen vorbeikommen?«
»Eh... okay. Die Adresse haben Sie ja wohl.«
Winter fuhr über die Brücke. Die Zisternen blinkten wie immer im Sonnenschein. Im Westen weit hinter Vinga war es klar. Das Meer lag still, wie blaues Öl.
Matilda Josefsson wohnte hinter dem Backaplan. Sie hatte braune Haare und blaue Augen und war um die fünfundzwanzig. In der Wohnung lag Kleidung in kleinen Haufen verstreut. Im Flur stand ein Golfset. Es roch auf besondere Weise nach Meer und Sand dort drinnen. Winter erkannte den Geruch sofort.
»Golf an der Costa del Sol«, sagte sie, ohne dass er fragen musste. »Ich arbeite als Golflehrerin. Die Hochsaison da unten läuft jetzt aus.«
»Kennen Sie Ake Killden?«, fragte Winter, der auf einem Stuhl in der Küche saß.
»Nur vom Namen her. Der Besitzer, der mich angestellt hat, hieß Andersson.«
»Andreasson.«
»Okay. Was haben Sie gesagt, wie heißen Sie? Winter?« »Ja.«
»Auf dem Platz, wo ich gearbeitet habe, spielte manchmal ein Mann mit dem gleichen Namen. Las Brisas. Es war in der letzten Saison. Großer, älterer Herr. Bengt Winter. Schwede also.«
Winter nickte.
»Ein Verwandter von Ihnen? Winter ist ja nicht gerade ein üblicher schwedischer Name.«
»Das war mein Vater.«
»Aha.
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