Das vertauschte Gesicht
Er trat ans Bett. Es war ein schwerer Moment. Winter konnte kaum schlucken. Sein Vater streckte eine Hand aus, und Winter nahm sie. Die Hand war warm und fest, wie bei einem gesunden Mann, aber Winter spürte die Knochen und Sehnen. Er versuchte etwas zu sagen, doch der Vater kam ihm zuvor.
»Gut, dass du da bist, Erik.«
»Ja.« Winter sah, dass seinem Vater die Bewegung Schmerzen verursacht hatte. »Ganz ruhig.« Winter drückte die Hand vorsichtig. »Das ist wichtig.«
»Alles an... andere geht sowieso nicht.« Bengt Winter sah seinen Sohn an. »Aber ich hab mir unsere Begegnung anders vorgestellt, wenn du schon mal bei uns in der Sonne auftauchst.«
»Macht doch nichts. Sieh zu, dass du wieder gesund wirst, dann kannst du mich empfangen, wie du es dir gedacht hast.«
»Da... darauf kannst du Gift nehmen. Schei... kannst du dieses Kissen ein bisschen hochschieben?«
Winter schob eins der Kissen unter den Kopf seines Vaters. Er nahm einen scharfen Geruch wahr und etwas anderes. Es dauerte eine Sekunde oder zwei, bis ihm das Rasierwasser seines Vaters wieder einfiel. Da fingen die Kopfschmerzen wieder an. Die Trauer über die Situation setzte sich in seinem Kopf fest wie ein Stück Erinnerung aus Stein.
Er klopfte die Kissen ein wenig zurecht.
»So ist es gut«, sagte der Vater.
»Bist du sicher?«
»Perfekt«, sagte die Mutter. Sie saß auf dem Stuhl. Winter wollte sie nicht ansehen.
»Wie war die Reise?«, fragte der Vater.
»Gut.«
»Mit welcher Gesellschaft bist du geflogen?« »Irgendein Charterflug. Den Namen hab ich vergessen.« »Das sieht dir ja gar nicht ähnlich.« »Mhm.«
»Es war eben zu kurzfristig. Immerhin haben sie dir einen Platz besorgt.«
»Ja.«
»Dann musste wohl irgendein Golfer wegen dir auf den nächsten Flieger warten?«
»Keine Ahnung.«
»Das macht nichts. Es gibt sowieso zu viele Golfer hier unten. Als ob die nichts Besseres zu tun hätten.« Der Vater sah Winter an. »Guck mich an. In der einen Stunde ist man draußen auf dem Golfplatz und in der nächsten liegt man hier.«
»Ja, gesund ist das nicht.«
»Es ist ein lebensgefährlicher Sport.«
»Du bist bald wieder da.«
»Auf dem Golfplatz?«
»Ja. Und... überall.«
»Weiß der Geier. Was ich hier erlebe, fühlt sich wie the big one an.«
»Mhm.«
»Das ist ein Gefühl wie...« Mehr verstand Winter nicht. Plötzlich fing der Vater an zu nuscheln. Winter wartete, aber es kam nichts mehr. Die Augenlider des Vaters senkten sich, hoben sich, fielen wieder herunter. Winter merkte, dass er immer noch seine Hand hielt. Sie war kraftlos geworden und glitt zur Seite.
»Er muss sich ausruhen«, sagte die Mutter, die aufgestanden und ans Bett gekommen war. »Er hat sich so gefreut, dass du hier bist.« Sie umarmte ihn. »Es hat ihn wahrscheinlich sehr aufgeregt.«
»Mhm.«
»Er ist eine Viertelstunde, bevor du gekommen bist, aufgewacht.«
»Er wirkte trotzdem... stark«, sagte Winter und betrachtete seinen bewusstlosen Vater. Konnte er sie hören? Spielte das eine Rolle? »Alles wird wieder gut.«
»Ihr habt ein gutes Gespräch gehabt«, sagte die Mutter.
Es war ein Gespräch auf sicherem Boden, dachte Winter, keiner ist ein Risiko eingegangen. Wir haben uns weiträumig um ein großes verdammtes Loch bewegt.
Er hörte das Surren der Klimaanlage, nahm es zum ersten Mal wahr. Vielleicht ließ die Nervosität langsam nach. Nächstes Mal würde er versuchen, dem Vater mehr Fragen zu stellen, und vielleicht würde der ihn auch mehr fragen.
Sie waren ins Wohnzimmer gegangen. Sie hatte das Videogerät eingeschaltet, und ihre Körper bewegten sich. Es gab kein anderes Licht als den blauen Schimmer von der Mattscheibe und die Schatten, die sich wie lebendig die Wände entlang bewegten.
Die Geräusche aus dem Fernseher schwollen an und schwollen ab. Das ging ihm auf die Nerven. Er wollte den Fernseher ausschalten, aber er durfte ihr Ritual nicht unterbrechen. Er wusste, dass sie es war, die bestimmte, was jetzt passierte.
»Warum stehst du so rum? Komm her und setz dich zu uns.« Sie winkte vom Sofa, das vorm Fernseher stand. Dort saßen sie beide. Die Hand des anderen war in ihrer Bluse, auf dem Tisch vor ihnen Gläser und Flaschen. Er hatte nichts getrunken, aber die beiden auf dem Sofa hatten einiges intus.
Er schloss die Augen, und es war wie in einer anderen Zeit, als er nach Hause gekommen war und auf einem Sofa wie dem da gesessen hatte. Da war er einfach eingetreten, als ob er direkt von einem anderen
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