Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
sollst nur wissen, dass er nie einen Groll gegen dich gehegt hat.«
    Himmel, dachte Winter, will er die ganze Schuld auf sich nehmen?
    »Es tut mir wirklich Leid, dass es so gekommen ist«, sagte er. »Ich hoffe, wir können das jetzt ändern.«
    »Ja«, sagte sie, aber er wusste, dass sie beide spürten: Es war zu spät.
    Sie gingen wieder auf die Station hinauf. Seine Mutter rauchte im Warteraum mit den weißen Jalousien und den grünen und schwarzen Stühlen an den Wänden. Winter zählte sie, es waren dreizehn. Unter dem Fenster stand ein schwarzer Papierkorb. Er zündete sich auch einen Zigarillo an und wurde ruhiger. Der Rauch aus dem dünnen Stängel ringelte sich zwischen die Spalten der Jalousien.
    Sie kehrten in das Krankenzimmer zurück. Nichts war geschehen, während sie weg gewesen waren, nur die Sonne dort draußen und die Schatten hier drinnen hatten sich weiter bewegt. Sonne und Schatten, dachte Winter. Sol y sombra. Das ist ungefähr alles an Spanisch, das ich kann. Sonne und Schatten. Allein darum dreht es sich, nur hier nicht, in diesem Zimmer. Hier gibt es nur den Schatten zwischen all dem Weißen. Weiß ist die Farbe des Todes.
    Seine Mutter ging in den Korridor. Er hörte sie dort draußen reden. Es war ein merkwürdiges Gefühl, die vertraute Stimme zum ersten Mal eine fremde Sprache sprechen zu hören.
    »Er kommt erst in ein paar Stunden wieder zu sich«, sagte sie.
    »Woher wissen die das?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Wenn du willst, kannst du ja einen Spaziergang machen«, sagte sie und zeigte durchs Fenster. »Da draußen.« »Vielleicht mach ich das.« Er spürte, dass er Bewegung brauchte. »Ich bin ein bisschen steif.«
    »Das kommt von der Reise«, sagte sie.
    Im Korridor stand eine junge Frau am Telefon und weinte. Winter ging die Treppe mit dem Schild Salida de Emergencia an der Wand hinunter. Die große Halle war noch genauso leer und still wie vorher. Er hatte einen rappelvollen und chaotischen Empfang erwartet, verzweifelte Menschen, die »caramba« schrien und nach Knoblauch... Nein, aber diese kühle, lautlose Eleganz im Hospital Costa del Sol überraschte ihn.
    Die Hitze schlug ihm unmittelbar entgegen, als er auf die Treppe hinaustrat. Er sah sein Auto unten auf dem schwarzen Parkplatz. Wie ein Brötchen auf einem Backblech, dachte er und ging in die Sonne und links über die Fußgängerbrücke zur Autobahn. Im Westen war Marbella zu sehen: ein einzelnes Hochhaus und ein Häuflein halbhoher Häuser, die um eine Meeresbucht gebaut waren. Ein wahnsinniger Lärm von den Fahrzeugen unter ihm. Fünfhundert Meter entfernt erhob sich ein riesiges Schild: Urbanizaciön Bahia de Marbella. Hinter dem Schild flossen Meer und Himmel zusammen. Der Heimatort seiner Eltern.
    Winter ging über die Brücke zurück nach Osten, an dem Krankenhauskomplex vorbei und denselben Weg zurück, den er mit dem Auto gekommen war. Bei der Einfahrt zur Autobahn stellte er sich für einen Moment in den Schatten eines Wartehäuschens einer Bushaltestelle. Andere Wartende hatten ihre Zeichen in eine Holzbank geritzt, Namen, Jahreszahlen. Jemand liebte einen anderen. Jemand wünschte einem anderen Tod und Pein. Jemand war dort gewesen!
    Winter was here.
    Er ging über das Viadukt zur anderen Seite. Das heruntergekommene Hotel Los Monteros wurde einer gründlichen, langsamen Renovierung unterzogen. Sony for the trobbles, stand auf einem Schild. Arbeiter in einer Fünferreihe reichten einander Ziegel zu, und alle schauten auf, als der blonde kurzhaarige Nordländer vorbeitrottete. Jemand sagte etwas, Winter hörte Lachen.
    Hinter dem Hotel lagen gut gepflegte Privatvillen am Abhang zum Meer hinunter, das zwischen dem Grün schimmerte. Avenida del Tennis. Winter hörte ein Spiel hinter den weißen Mauern. Ein teures Auto kam den Hügel herauf, und der Fahrer winkte, als er vorbeifuhr.
    Winter ging zurück und bog bei den Ziegelarbeitern nach links ab. Wieder ein Kommentar, wieder ein Lachen. Er erreichte die verfallenen Wirtschaftsgebäude des Hotels und andere Wirtschaftsgebäude. Hinter einem großen Schuppen lagen mindestens zwanzig verkommene Tennisplätze im Sonnenschein. Trockenes Gras wurde in Büscheln über den gerissenen Tartanbelag geweht, die Netze hingen durch. Stühle waren in einem Durcheinander mitten auf den Plätzen zurückgelassen worden, als ob dort plötzlich etwas passiert und man fluchtartig aufgebrochen wäre.

6
    Als Winter in das Zimmer Nummer 1108 zurückkam, war sein Vater wach.

Weitere Kostenlose Bücher