Das verwundete Land - Covenant 04
wiedergutzumachen bestrebt gewesen war, jede sinnlose Not, der er je einen Sinn zu verleihen versucht hatte; war untröstliche Trauer, unauslöschliche Schuld und wilde Wut; und er schuf in Covenants Kopf einen kleinen, lichten Raum aus Helle. Wie ein Wrack dort festgekrallt, machte er die Augen auf.
Delirium vernebelte ihm die Sicht; graue Schemen gaukelten unbegreiflich durch sein Fieber, bedrohten den letzten geringfügigen Flecken von Klarheit in seinem Ich. Doch er widerstand dieser Gefahr. Indem er zwinkerte, als wären die Bewegungen seiner Lider eine Gewalttat, klärte er sein Blickfeld.
Er befand sich noch in der Mulde, war an den Pfahl gefesselt. Rings um ihn lag Brennholz aufgehäuft. An den Rändern des Scheiterhaufens lohten Flammen. In der Senke wimmelte es von Gestalten, die tanzten, als wären sie auch Flammen. Sie hüpften umher wie gespenstische Unholde. Schreie der Blutgier hallten von den Wällen des Steilabbruchs wider; von Kannibalismus schrille Stimmen drangen an Covenants Gehör. Männer mit entarteten Augen und Greifnasen stierten ihn an. Frauen mit mehrfachen Brüsten, die Finger in ganzer Länge besetzt mit Klauen, wirbelten an ihm vorüber wie Fragmente des Wahnsinns, kreischten nach seinem Leben. Kinder mit schaurig deformierten Gesichtern und Tigermäulern an der Stelle der Bäuche spien Frösche und Obszönitäten. Covenants Grauen brachte die Welt rund um ihn ins Trudeln, riß ihn vom letzten Halt an seiner restlichen geistigen Klarheit los. Sein rechter Arm verströmte Schmerz in seinen Brustkorb. Jeder einzelne Nerv des Glieds war in Pein getränkt. Einen Moment lang drohte er mitgerissen zu werden. Doch da sah er Hohl.
Der Dämondim-Abkömmling stand mit dem Rücken zu den Ebenen, schaute dem Treiben der wie besessenen Tänzer zu, als wären sie zu keinem anderen Zweck da, als ihn zu belustigen. Langsam schwelgte sein Blick über das Durcheinander, bis er Covenants Blick erwiderte.
»Hohl!« röchelte Covenant, als ersticke er an Blut. »Hilf mir!«
Zur Antwort entblößte Hohl die Zähne zu einem schwarzen Grinsen.
Bei diesem Anblick brach Covenant zusammen. Ein greller Wutschrei entfuhr seiner Brust. Und mit diesem Aufschrei verpuffte schlagartig alles; die Nacht selbst verging.
15
»Weil du sehen kannst«
Nein. Nie wieder.
Nachdem Covenant hinter dem Hügelkamm ins Innere Andelains verschwunden war, setzte sich Linden zwischen das tote Gestein und versuchte, ihr Gefühl für das, was sie war, nun wiederzufinden. Eine finstere Stimmung überkam sie. Ihr war innerlich sinnentleert leblos zumute, wie so oft in den vergangenen Jahren; all ihre Bemühungen, sich ihren Eltern als überlegen zu erweisen, hatten nichts gefruchtet. Hätten Sunder oder Hollian etwas zu ihr gesagt, sie hätte aufgeschrien, vorausgesetzt, sie hätte dazu genug Kraft aufgebracht.
Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, etwas zur Verteidigung ihrer diffizilen Selbständigkeit gegen Covenants seltsame Fähigkeit unternommen, sie von sich selbst abzulenken, und nun mußte sie die Folgen tragen. Sie konnte sie nicht ignorieren; die uralte, für immer unlinderbare Ödnis rings um sie erlaubte ihr nicht, darüber hinwegzugehen. Die abgestorbenen Höhen, die im Süden und Westen aufragten, widersprachen Andelain, als hätte sie, als man ihr das Leben anbot, den Tod gewählt.
Und sie blieb in ihrer düsteren Verfassung allein. Sunder und Hollian hatten in ihrer einmütigen Ablehnung der Hügel Andelains eine Art von Gemeinschaftlichkeit entwickelt. Ihr Leben war immer so grundlegend vom Sonnenübel bestimmt worden, daß sie das Unbehagen, das Andelain bei ihnen hervorrief, gar nicht in Frage stellen konnten. Vielleicht vermochten sie nicht zu erkennen, daß diese üppig belaubten Bäume und saftigen Wiesen gesund waren; oder daß ihre Gedeihlichkeit mit Schönheit einherging. Aber Linden akzeptierte die Einstellung der Steinhausener. Im Zusammenhang mit dem Sonnenübel war sie durchaus zu begreifen. Ihre innere Absonderung von den beiden machte ihr nicht zu schaffen.
Covenants Abschied jedoch beeinträchtigte ihr Gemüt. Sie hatte ihren Entschluß gefällt, und daraufhin war er aus ihrem Leben getreten, als nähme er all ihre Kraft und ihre ganze Überzeugung mit. Das Licht der Sonne der Fruchtbarkeit hatte auf dem Mithil gegleißt, als er hinüberschwamm, ihn umflimmert wie eine Bestätigung seiner persönlichen Wirksamkeit gegen das Unheil des Landes. Sie hatte die Intimität seines Lebens
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