Das verwundete Land - Covenant 04
an der Wand hin- und herschaukelte, um sich daran zu erinnern, daß sie noch existierte, nach wie vor eine eigene körperliche Identität besaß, nie wieder . Sie sagte leise ihren Spruch auf, als wäre er eine Zauberformel gegen das Böse, und focht um ihren Bestand.
Sie brauchte eine Antwort auf das Problem Joan, auf Gift und Wütriche, auf die gefährliche Macht des grünen Steins. Doch sie fand keine andere Antwort, als sich in sich selbst zurückzuziehen und sich gegen alles abzuschotten, als ob sie einer ihrer Elternteile wäre, unfähig zum Zurechtkommen mit dem Leben, sehnsüchtig nach dem Tod.
Aber als die Morgendämmerung heraufzog und jemand die Tür der Hütte aufschwang, war es nicht die Steinmeisterin, die das tat, auch kein anderer Holzheimer, sondern ein Mitglied der Sonnengefolgschaft. Die Sonne der Fruchtbarkeit leuchtete auf seiner knallroten Robe, schimmerte an den Umrissen seines schwarzen Rukh , ließ die steife Länge seines Bartes aussehen wie den Spaten eines Totengräbers. Er war hochaufgerichtet in seiner Autorität und seiner unerschütterlichen Selbstsicherheit. »Kommt«, sagte er, als gäbe es keinen Widerspruch. »Ich bin na-Mhoram-In Santonin. Ihr seid mein.« Auf das Stöhnen Sunders und Hollians reagierte er mit einem Lächeln, das der Klinge eines Säbels glich.
Draußen standen die Holzheimer, klagten und flehten. Die Steinmeisterin erhob kriecherischen Protest. Doch Santonin war nicht zu erweichen. Unter Tränen übergab sie ihm die Steinmacht. Ein Dörfler händigte ihm den Sonnenstein, den Lianar und die Messer der Steinhausener aus.
Während sie die Auslieferung der Gegenstände beobachtete, blieb Linden außerstande, an etwas anderes als daran zu denken, daß Covenant bald aus Andelain zurückkehren und seine Begleiter nicht mehr antreffen würde. Für einen Augenblick des Irrwitzes verleitete Santonins Lächeln sie beinahe dazu, ihm Covenants Aufenthalt mitzuteilen; sie hätte gerne dagegen vorgesorgt, daß er in die Gewalt von Holzheim Steinmacht geriet. Doch Sunder und Hollian hielten den Mund; und ihr Schweigen erinnerte sie daran, daß die Sonnengefolgschaft Covenants Tod wünschte. Mit aller restlichen Willenskraft untersagte sie sich alles, was ihn hätte verraten können.
Anschließend allerdings ging sie ihres Willens vollständig verlustig. Unterm grünen Verhängnis der Sonne entflammte na-Mhoram-In Santonin seinen Rukh . Zwang entsprang der Glut, ergriff Besitz von Lindens Seele. Jede Wahl kam ihr abhanden. Auf Santonins Befehl bestieg sie seinen Landläufer. Mit den übriggebliebenen Bruchstücken ihres Ichs sah sie, daß Sunder und Hollian ebenso gehorchten. Dann verließ Santonin mit ihnen Holzheim Steinmacht; ritt nach Schwelgenstein.
Seine Kontrolle über die Gefangenen ließ sich nicht brechen. In Linden gab es nichts mehr, womit sie zu widerstehen vermocht hätte. Tagelang war sie sich durchaus dessen bewußt, daß sie zu fliehen versuchen sollte, zu fliehen, sich zu widersetzen. Ohne Santonins ausdrückliche Anweisung jedoch mangelte es ihr sogar an genug Entschlußkraft, um nur eine Hand ans Gesicht zu heben und sich die Haare aus der Stirn zu streichen. Wann immer er ihren starren Blick erwiderte, lächelte er, als freue ihn ihre zwangsweise Ruhe. Bisweilen murmelte er Namen vor sich hin, die ihr nichts sagten, als wolle er ihrer spotten: Windschoorn, Victuallin Tayne , Klein-Andelain. Dennoch erregte er nicht den Eindruck, schlecht zu sein. Oder Linden war nicht dazu in der Lage, seine Schlechtigkeit zu erkennen.
Nur einmal schwand ihm die Herrschaft über seine Gefangenen. Kurz nach dem Sonnenaufgang des ersten Tages einer Sonne der Dürre – acht Tage nach dem Aufbruch von Holzheim Steinmacht –, durchfuhr unerwartet etwas wie ein stummer Schrei die Luft, von dem sich Lindens Herz zusammenkrampfte. Santonins Bann brach, als spränge die überspannte Saite einer Harfe. Als hätten sie die ganze Zeit hindurch auf diesen Augenblick gewartet, versuchten Sunder und Hollian sofort, sich den Rukh anzueignen. Linden wendete bei Santonin einen Armhebel an und schleuderte ihn zu Boden, flüchtete südostwärts, in die Richtung, aus der sie den Schrei vernommen hatte. Doch schon einen Moment später schlenderte sie – fast als hätte sie kein Ziel – zurück zu Santonins Lager. Sunder und Hollian packten den Proviant des Gefolgsmanns zusammen. Santonin zeigte ein wüstes Grinsen. Das Dreieck an seinem Rukh glomm wie Blut und Smaragd. Wenig später
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