Das verwundete Land - Covenant 04
Flucht. Er drehte sich nach Hohl um. Plötzliche Überraschung ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren. Auf der anderen Seite des Feuers stand ein Mann.
Er hatte einen zottigen Bart und irre Augen. Ganz im Kontrast dazu zeigten seine Lippen ein scheues Lächeln. »Soll er gehen«, sagte der Mann, indem er dem Wegwahrer nachnickte. »Wir brauchen ihn nicht mehr.« Langsam ging er um das Feuer herum, näherte sich Covenant und Hohl. Trotz all seiner oberflächlichen Nonchalance verriet seine Stimme deutliche Hysterie. Er erreichte die Seite des Feuers, an der Covenant stand. Mit einem scharfen Zischgeräusch saugte Covenant den Atem durch die zusammengebissenen Zähne ein. Der Mann war bis zur Hüfte nackt, und sein Oberkörper war behangen mit Salamandern. Sie entwuchsen ihm wie Geschwüre. Ihre Leiber zuckten bei jeder Bewegung des Mannes. Im Feuerschein glitzerten ihre Äuglein rötlich, und ihre Mäuler schnappten. Ein Opfer des Sonnenübels!
Covenant erinnerte sich an Marid und hob das Messer. »Das reicht«, sagte er. »Keinen Schritt näher!« Aber seine Stimme zitterte, offenbarte seine Furcht. »Ich möchte dir nichts tun.«
»Freilich«, entgegnete der Mann. »Du möchtest mir nichts tun.« Er grinste wie ein gutmütiges Scheusal. »Und ich verspüre keinen Wunsch, dir etwas anzutun.« Er hielt die Hände vor sich zusammengelegt, als verberge er darin irgendeine Kostbarkeit. »Ich wünsche dir lediglich ein Geschenk zu geben.«
Covenant griff auf seine Verärgerung zurück, um seine Furcht zu meistern. »Du hast den Wegwahrer mißhandelt. Du wolltest ihn umbringen. Was ist mir dir los? Gibt's noch nicht genug Mord und Totschlag in der Welt – mußt du noch mehr dergleichen anstellen?«
Der Mann hörte nicht zu. Mit einem Ausdruck geisteskranker Freude betrachtete er seine Hände. »Es ist ein wundersames Geschenk.« Er schlurfte vorwärts, als wüßte er gar nicht, daß er sich fortbewegte. »Kein Mensch außer dir vermag zu ermessen, wie wundersam dies Geschenk ist.« Covenant wollte zurückweichen; aber seine Füße blieben auf dem Untergrund stehen, als hätte er Wurzeln geschlagen. Der Mann übte eine gräßliche Faszination aus. Unwillkürlich starrte Covenant die Hände an, als könnten sie in der Tat irgend etwas Wunderbares enthalten. »Schau«, sagte der Mann leise und mit gemäßigter Hysterie. Langsam, behutsam, wie jemand, der einen Schatz enthüllt, öffnete er die Hände. Auf seiner Handfläche hockte eine kleine, pelzige Spinne.
Ehe Covenant zurückzucken, zur Seite springen, etwas unternehmen konnte, um sich zu verteidigen, tat die Spinne einen Satz. Covenant an den Hals. Unmittelbar bevor er sie fortschlug, spürte er das schwache Stechen, als sie zubiß.
Für einen Moment füllte wahrhaftig wundersame Ruhe Covenant aus. Ungerührt sah er mit an, wie der Mann nähertrat, als schwämme er durch eine plötzliche Eindickung des Feuerscheins. Das Prasseln der Flammen klang auf einmal dumpf, wie durch einen Schleier aus Wolle gedämpft. Covenant merkte kaum, daß der Mann ihm das Messer abnahm. Hohl schaute zu, als fände nichts besonderes statt. Mit unvorstellbarer Sanftheit schien sich der Untergrund der Mulde zu neigen.
Dann tat Covenants Herz einen Schlag, als wäre es ein Vorschlaghammer, und alles zerbarst. Scherben aus Pein stoben durch seine Gedanken. Seinem Gehirn blieb nur noch die Zeit, zwei Wörter zu formen: Gift. Rückfall. Danach schlug sein Herz erneut mit ungeheurer Wucht; und er war sich keines anderen Geschehens mehr bewußt als eines langgezogenen, heiseren Heulens, das aus seiner Kehle kommen mußte.
Einige Zeit lang irrte er hilflos durch ein inneres Labyrinth der Qual, suchte zerrüttet nach einem Ausweg der Erlösung. Überall war nur Pein. Er schien keinen Verstand mehr zu haben, nur noch Schmerzen zu kennen; er hatte keinen Atem, der nicht aus Schmerz bestand; keinen Pulsschlag, der nicht den Schmerz vervielfachte. In seinem rechten Unterarm schwoll ein unsägliches Weh an. Er schmerzte, als wäre das Glied nur noch ein blutiger Stumpf. All diese Qual betraf ausschließlich ihn, Covenant, alles in ihm, seine Brust, die Eingeweide, den Kopf, alles, alles, sie gellten in einer unerträglichen Litanei der Marter. Falls er noch schrie, hörte er es nicht mehr; er nahm nichts wahr außer Pein und Tod.
Der Tod war ein Derwisch, Schwindel, eine Lawine, übermannte ihn wie die abgrundtiefe Verhängnisfülle seiner Untauglichkeit; war alles, was er jemals
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