Das verwundete Land - Covenant 04
Seuchen so wenig Harm begegnet.« Er sprach in hartem Ton. »Ich hatte nicht gewußt, daß die Mitglieder der Sonnengefolgschaft durchs Land ziehen und so unbeschadet von dem bleiben können, was allen Bewohnern des Landes Furcht und Abscheu einflößt. Und nun behauptet Ur-Lord Covenant, daß die Sonnengefolgschaft dank der Verstärkung des Sonnenübels derartig gefeit ist, nicht durch seine Schwächung.« Seine Stimme nahm einen düstereren Tonfall an, als er sich all der Menschen entsann, deren Blut er vergossen hatte. »Ich zweifle nicht an ihm. Doch auch mich verlangt's danach, daß morgen eine andere Sonne scheinen möge.«
Memla gab mit einem Achselzucken zu verstehen, daß ein solcher Wechsel an ihren Sorgen nichts ändern könnte. Covenant jedoch gesellte sich zu Linden und Sunder. Ihm war plötzlich der gräßliche Gedanke gekommen, die Wahrsagung könne doch eine Täuschung gewesen sein, vom Gibbon-Wütrich eingefädelt, um ihn in die Irre zu führen. Wenn auf zwei Tage einer Sonne des Regens wiederum nur zwei Tage einer Sonne der Seuchen folgen sollten ... Er beherrschte sich und wartete auf Hollians Auskunft.
Hollian handelte rasch und unbefangen. Ihr andeutungsweises Lächeln erinnerte Covenant daran, daß sie sich von Sunder unterschied. Mit dem Lianar und ihrer Fähigkeit war sie stets dazu imstande gewesen, das Sonnenübel zum Vorteil anderer Menschen auszunutzen, ohne jemals Blut vergießen zu müssen. Deshalb war ihre Begabung ihr, anders als in Sunders Fall, nicht zuwider. Sie entfernte sich ein paar Schritte weit, um Platz zu haben, und brachte ihren Dolch und den Stab zum Vorschein. Sie ließ sich auf dem Laub nieder, das den Untergrund übersäte, und vertiefte sich in die erforderliche Konzentration. Covenant, Linden und Sunder schauten aufmerksam zu, während Hollian sich den Lianar in den Schoß legte, den Dolch mit der Linken nahm und die Spitze der Klinge gegen das rechte Handgelenk richtete. Worte der Beschwörung kamen über ihre Lippen. In den Ohren der Gefährten klangen sie wie die Liturgie einer etwas Verhängnisvollem entgegengebrachten Verehrung. Sogar die Haruchai unterbrachen ihre Betätigungen und schenkten Hollian ihre Beachtung. Covenant verzog verdrossen das Gesicht, als er daran dachte, daß sie sich eine Schnittwunde zufügen mußte; aber die Zeiten, in denen er gegen das, was sie tat, protestiert hätte, lagen nun schon lange hinter ihm.
Mit einer langsamen Bewegung brachte Hollian ihrem Handgelenk einen Einschnitt bei. Als Blut aus der Wunde quoll, schloß sie ihre Finger um den Lianar . Rundum hatte sich die abendliche Dämmerung zum Dunkel der Nacht vertieft, entzog nun Hollian den Blicken ihrer Zuschauer. Doch selbst Covenants beschränkte Sinne spürten, wie sich Energie um sie ballte, ähnlich wie sich Rußflocken ums Feuer sammelten. Für einen angespannten Moment war die Luft vollkommen still. Dann verlieh Hollian ihrem Singsang erhöhten Nachdruck, und der Stab leuchtete auf. Rote Flammen erblühten wie Orchideen des Sonnenübels. Sie sprangen in die Luft empor und über Hollians Unterarm auf den Erdboden. Karmesinrote Ausläufer von Glut verbreiteten sich rings um sie, als solle sie davon überwuchert werden. Obwohl sie glommen, erzeugten sie keine Helligkeit; die Nacht blieb finster. Intuitiv begriff Covenant die Natur von Hollians Feuer. Mit Beschwörungen, Blut und Lianar stellte sie eine Verbindung zur morgigen Sonne her; ihre Flammen nahmen die Färbung an, die morgen die Sonne haben würde. Ihr Feuer besaß den gegenwärtigen Farbton einer Sonne der Seuchen. Eine dritte Sonne der Seuchen stand am nächsten Tag bevor. Erleichtert seufzte Covenant leise auf. Wenigstens in dieser Hinsicht hatte er also keinen Grund zu der Annahme, die Wahrsagung könne ein Betrug gewesen sein. Doch ehe die Sonnenseherin ihre Konzentration aufgab, das Ergebnis ihrer Voraussage bekanntgeben konnte, unterzog sich das Feuer einer schlagartigen Veränderung.
Ein Strahl von Schwärze, so vollständig schwarz wie Hohls Haut, schoß aus dem Stab, verdunkelte die Flammen mit der Farbe von Ebenholz. Zuerst glich er lediglich einem schwarzen Streifen inmitten des Karmesinrots. Doch das Schwarz wuchs, dehnte sich in den Flammen aus, bis es darin dominierte, sie verfinsterte; und zuletzt erstickte es sie.
Augenblicklich umfing Nacht die Gefährten, trennte sie voneinander. Covenant vermochte nichts mehr außer einem schwachen Geruch nach Qualm in der Luft wahrzunehmen, als hätte
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