Das verwundete Land - Covenant 04
Covenant gab ihre Arme frei, und sofort rief sie nach den Landläufern.
Sie kamen aus der Nacht wie große Brocken von Finsternis. Die Haruchai warfen ihnen Säcke mit Proviant und Bündel von Brennholz auf die breiten Rücken. Covenant fuhr herum und schaute nach seinen Gefährten. Sunder und Hollian standen hinter Linden, die im Laub kauerte, die Hände vorm Gesicht. Das Steinhausener Paar machte Gesten der Hilflosigkeit, wußte nicht, wie es ihr helfen sollte. Lindens Stimme klang, als werde sie erdrosselt. »Ich kann nicht ...«
Covenant brauste auf. »Vorwärts!«
Linden fuhr zusammen, sprang überstürzt hoch. Sunder und Hollian setzten sich so ruckartig in Bewegung, als entrissen sie sich einer Trance. Cail packte im Handumdrehen Linden, hob sie vom Untergrund schwungvoll empor auf Clashs Rücken. Covenant schlurfte zu seinem Reittier und klomm hinter Memla hinauf. Wie in einem Wirbel sah er Sunder und Hollian auf ihren Tieren, sah die Haruchai ihre Plätze einnehmen, Memlas Rukh aufflammen und dann der Nacht eine Narbe beibringen. Unverzüglich begannen die Landläufer den von Memla erzeugten Pfad entlangzustürmen.
Die Nacht zu beiden Seiten von Memlas Feuer schien wie Gewitterwolken zu brodeln. Covenant vermochte über ihren Rücken nicht hinauszuschauen; er befürchtete, Din könne jeden Moment vom Pfad abirren, gegen Felsbrocken prallen, in der Sicht entzogene Schluchten, Hohlwege oder Erdspalten stürzen. Aber noch mehr fürchtete er die Macht seines Rings, fürchtete er das Notwendighaben von Macht, mit dem der Zorn ihn konfrontieren mußte.
Memla jedoch ließ es zu keinerlei Desaster kommen. In unerwarteten Augenblicken wich der Verlauf ihres Pfads plötzlichen Hindernissen aus; doch mit Feuer und Wille bewirkte sie, daß die kleine Truppe den Weg schnell und sicher fortsetzte. Sie floh um ihr Leben, um Covenants Leben, um der Hoffnung des Landes willen; und sie jagte die Landläufer wie mit einer Armbrust abgeschossene Bolzen durch den unheilvollen Urwald. Sie rannten dahin, während der Mond aufging; sie rannten, während er seine Bahn übers nächtliche Firmament zog; und sie liefen noch immer, als man ihn nicht mehr sehen konnte. Die Landläufer waren Geschöpfe des Sonnenübels und ermüdeten nicht. Erst kurz nach Anbruch der Morgendämmerung brachte Memla sie wieder zum Stehen.
Covenants Beine zitterten, als er abstieg. Linden bewegte sich, als wäre sie am ganzen Leibe mit Knütteln geprügelt worden. Selbst Sunders und Hollians Zähigkeit ließ anscheinend nun nach. In Memlas Miene jedoch hatten sich Furchen der Bereitschaft zum Äußersten verfestigt; sie hielt den Rukh , als gedenke sie ihre Seele auf den Klang des Eisens einzustimmen. Sie gestattete ihren Begleitern eine kurze Rast zwecks Einnahme eines Frühstücks. Aber selbst diese Pause erwies sich als zu lang. Unvermittelt deutete Stell zur Sonne. Die stumme Eindringlichkeit seiner Geste wandte schlagartig jedes Augenpaar nach Osten.
Die Sonne stand überm Horizont, ihre kränkliche rote Aura schimmerte wie die Verheißung von Gebrechen. Doch die Korona war nicht mehr einfarbig. Sie besaß nun am oberen Rand einen tiefschwarzen Flecken. Das Mal war keilförmig, so wie ein Angriffskeil der Urbösen, und es erweckte den Eindruck, als hämmere man es von Schwelgenstein aus in die Sonne hinein. Lindens Aufstöhnen war eine weit ausdrucksstärkere Reaktion als jeder Schrei. Memla stieß einen Fluch aus und scheuchte ihre Begleitung zurück zu den Landläufern. Binnen weniger Sekunden waren sie allesamt wieder aufgesessen, und die Tiere nahmen den Wettlauf gegen die schwarze Bosheit von neuem auf.
Sie konnten ihn nicht gewinnen. Obwohl Memlas Pfad verläßlich war und sicher, obwohl die Landläufer auf ihren stämmigen Beinen mit voller Kraft dahinrasten, schwoll das Schwarz rasch an. Um die Mitte des Vormittags hatte es die Sonnenscheibe zur Hälfte verzehrt.
Der Druck in Covenants Rücken wuchs. Seine Gedanken übernahmen den Rhythmus von Dins weiten Sätzen: Ich darf nicht ... Ich darf nicht ... Erinnerungsbilder des Tötens kamen ihm: vor zehn Jahren oder vier Jahrtausenden hatte er während des Gefechts beim Holzheim Hocherhaben Höhlenschrate erschlagen; und später dem Mann, der Lena hingemordet hatte, einen Dolch ins Herz gestoßen. Er vermochte an Macht nicht anders als in Begriffen des Tötens zu denken. Er hatte keine Kontrolle über seinen Ring.
Dann brach die Truppe urplötzlich aus dem dichten Urwald hinaus in eine
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